Feuchtigkeitsschäden im Altbau: Anspruch auf ordnungsmäßige Abdichtung richtet sich nach der Zweckbestimmung, nicht nach dem Baujahr
Kernaussage
Bei Feuchtigkeitsschäden im gemeinschaftlichen Eigentum maßgeblich ist die in der Teilungserklärung/Gemeinschaftsordnung festgelegte Zweckbestimmung der betroffenen Einheiten. Nicht das Baujahr entscheidet, sondern wofür die Räume rechtlich bestimmt sind (z. B. „Laden“, „Büro“, „Wohnung“). Entspricht der Zustand dem Nutzungszweck nicht, besteht ein Anspruch auf sach- und fachgerechte Abdichtung nach den anerkannten Regeln der Technik. Hohe Kosten allein heben den Anspruch nicht auf.
Rechtslage kompakt
- Anspruchsgrundlage alt: ordnungsmäßige Instandsetzung nach § 21 Abs. 4 WEG a. F.
- Rechtslage seit WEMoG: ordnungsmäßige Instandhaltung/-setzung ist Aufgabe der Gemeinschaft (§ 18 Abs. 2 Nr. 2 WEG n. F.), Maßstab ist ordnungsmäßige Verwaltung (§ 19 WEG).
- Ausübungsbefugnis: Abwehr- und Instandsetzungsansprüche am Gemeinschaftseigentum macht die Gemeinschaft geltend (§ 9a Abs. 2 WEG). Einzelne Eigentümer setzen Ansprüche regelmäßig per Beschlussersetzung durch, wenn die Versammlung pflichtwidrig untätig bleibt (§ 44 WEG).
- Zweckbestimmung schlägt Baujahr: Bei aufgeteilten Altbauten orientiert sich die Abdichtungsqualität an der vereinbarten Nutzung (Gewerbe/ Wohnen), nicht an „baualtersgemäßer Kellerfeuchte“.
- Technikmaßstab: anerkannten Regeln der Bauwerksabdichtung entsprechend (Planung, Lastfallanalyse, fachgerechte Ausführung). „Billiglösungen“ oder bloß symptomatische Maßnahmen genügen nicht.
Leitlinien aus der Rechtsprechung
- Keine Ausflucht über das Baualter: Der Hinweis „Altbau, Keller war schon immer feucht“ verfängt nicht, wenn der Nutzungszweck höherwertig ist (z. B. Laden/Büro statt Lagerkeller).
- Opfergrenze regelmäßig verneint: Selbst hohe Sanierungskosten sind hinzunehmen, wenn der Nutzen für Substanz und Zweckentfaltung erheblich ist und keine krasse Unverhältnismäßigkeit vorliegt.
- Keine Verzögerung durch Mehrfachgutachten: Liegen tragfähige Befunde vor, ist ein weiteres Gutachten ohne Erkenntnismehrwert regelmäßig nicht ordnungsmäßig.
Was bedeutet „ordnungsmäßige Abdichtung“ praktisch?
- Analyse: Lastfälle (Bodenfeuchte, nichtdrückendes/drückendes Wasser), Feuchteursachen (fehlende Sockelabdichtung, fehlende Horizontalsperre, Salzbelastung) systematisch klären.
- Planung: Sanierungskonzept durch Fachplaner. Schnittstellen Sturm-/Regenwasser, Anschlussdetails, Entwässerung, Lüftung, Wärmeschutz beachten.
- Ausführung: Systemgerechte Außen- oder Innenabdichtung, ggf. flankiert durch Injektagen, Sperrschichten, Putzsysteme mit Salzpuffer, Dränung, Sockelsanierung. Keine „Kosmetik“ nur im Innenraum.
- Nachweis: Dokumentation, Prüfprotokolle, Fotodoku, Bestands- und Detailpläne, Wartungshinweise.
Rollen und Zuständigkeiten
- Gemeinschaftseigentum: Außenwände, Fundamente, erdberührte Bauteile, Abdichtungen, Fassaden—Sanierungspflicht der Gemeinschaft.
- Sondereigentum: Innenausbau (Oberflächen, nichttragende Innenbauteile). Mangelfolgeschäden dort sind differenziert zu behandeln; die Ursache liegt oft im Gemeinschaftseigentum.
- Verwalter/Beirat: Einholung/Beauftragung von Gutachten, Vorbereitung von Beschlüssen, Koordination Vergaben, Überwachung und Abnahmeorganisation.
Vorgehensmodell für Betroffene
- Mangelanzeige an Verwalter mit Fotos, Feuchtemessungen, Raumbezug, Nutzungseinschränkung.
- Sachverständige beauftragen lassen (Gemeinschaft). Liegen bereits belastbare Gutachten vor, nicht „auf Zeit spielen“.
- Sanierungskonzept mit Kostenrahmen und Vergabestrategie (Losbildung, Gewährleistung) erstellen.
- Beschlussfassung über Maßnahme, Finanzierung (Rücklage/Sonderumlage), Zeitplan, Bauüberwachung, Mängelmanagement.
- Beschlussersetzung einklagen, falls die Versammlung pflichtwidrig ablehnt oder verzögert.
- Durchführung und Abnahme mit Dokumentation; Wartungs-/Kontrollplan beschließen.
Finanzierung und Verteilung
- Regelfall: Kosten nach gesetzlichem/verabredetem Verteilungsschlüssel (i. d. R. MEA) als Gemeinschaftslast.
- Abweichungen: Nur wenn GO/Vereinbarung eindeutig eine abweichende Lastenzuordnung enthält (z. B. Sonderausstattung, Dachterrassenklauseln), kann die Kostentragung anders liegen.
- Vorschüsse/Sonderumlagen: Beschlussklarheit schaffen: Höhe, Fälligkeit, Zinspflicht, Mahnwesen, Vollstreckung.
Typische Fehler der Praxis
- „Altbau-Ausrede“: Verweis auf Baualter statt auf Nutzungszweck.
- Symptombehandlung ohne Ursachenbeseitigung (nur Innenputz, Anstrich, Entfeuchter).
- Verzögerung durch überflüssige Dritt- und Viertgutachten trotz klarer Befundlage.
- Vergabe ohne Planung oder ohne Bauüberwachung; fehlende Schnittstellenklärung (Dränage/Anschluss Sockel).
- Keine Abnahme, kein Mängelmanagement, keine Wartungsregeln.
FAQ
- Gilt der Anspruch auch bei „nur“ gewerblicher Nutzung im Souterrain?
Ja. Gerade Gewerbe („Laden“, „Büro“) verlangt trockene, nutzbare Räume. Die Zweckbestimmung ist entscheidend. - Können Kosten mit Hinweis auf Höhe abgelehnt werden?
Nur bei krasser Unverhältnismäßigkeit. Regelmäßig überwiegt der Substanz- und Nutzwert. - Braucht es zwingend Außenabdichtung?
Es braucht eine geeignete Maßnahme für den Lastfall. Außenabdichtung ist oft vorzugswürdig, Innenabdichtung/Injektionen sind in definierten Fällen zulässig. - Wer klagt?
Seit WEMoG die Gemeinschaft. Der Einzelne setzt die Maßnahme durch Beschlussersetzung durch, wenn die Gemeinschaft untätig bleibt.
Muster-TOP und Beschlusstexte
TOP „Feuchtigkeitsschäden Souterrain – Sanierungskonzept und Vergabe“
„Die Gemeinschaft beschließt auf Basis des vorliegenden Sanierungskonzepts die Abdichtungsmaßnahme an den erdberührten Bauteilen (Leistungsbeschreibung Anlagen X/Y) zum Angebotspreis von … € brutto. Der Verwalter wird ermächtigt, nach Auftragsgespräch bis +10 % Nachträge anzuordnen. Bauüberwachung durch … (Fachplaner). Finanzierung: Entnahme Rücklage … €, Sonderumlage … € fällig am … . Abnahme mit Sachverständigem, Mängelmanagement und Wartungsplan werden umgesetzt.“
TOP „Durchsetzung bei Verweigerung“
„Sofern die beauftragte Maßnahme nicht binnen … Wochen beginnt, wird der Verwalter ermächtigt, erforderliche Rechtsschritte einzuleiten. Unterbleibt ein Beschluss, wird der betroffene Eigentümer ermächtigt, Beschlussersetzungsklage im Namen der Gemeinschaft anzustrengen.“
Checkliste für Verwalter/Beirat
- Schadensmeldung strukturiert erfassen (Ort, Umfang, Nutzung, Fotos).
- Qualifiziertes Gutachten beauftragen; Lastfall bestimmen.
- Sanierungskonzept + LV erstellen lassen, Angebote vergleichbar machen.
- Rechtsrahmen prüfen (GO, frühere Beschlüsse, Kostenverteilung).
- Klare Beschlüsse fassen (Technik, Kosten, Termine, Verantwortlichkeiten).
- Bauüberwachung sichern, Abnahme dokumentieren, Wartung beschließen.
Seit 2019 relevant hinzugekommen
- WEMoG (seit 01.12.2020): Zuständigkeiten und Klagewege neu geordnet. Gemeinschaft ist Trägerin der Instandsetzungsaufgabe; Einzelne gehen über Beschlussersetzung. Materiell bleibt der Maßstab „ordnungsmäßige Abdichtung nach Zweckbestimmung“ unverändert.
- Beschlusspraxis straffen: Gerichte sehen Verzögerungsbeschlüsse (weiteres Gutachten ohne Erkenntnismehrwert) kritisch, wenn tragfähige Gutachten bereits vorliegen.
- Dokumentationspflichten: Steigende Anforderungen an Plan- und Nachweisdokumente; fehlende Doku erschwert Gewährleistung.
Aktualisiert am: 13.10.2025 – Harald Reiner, Hausverwaltung Reiner




