Barrierefreier Umbau: Was 2017 galt, was 2025 zählt und wie WEGs jetzt richtig entscheiden
Ausgangslage 2017: Schon damals zeigte sich eine deutliche Lücke an seniorengerechten Wohnungen. Viele Bestände sind aus den 1960er–1990er Jahren, Barrierefreiheit war selten planerischer Standard. Kosten für Treppenlifte, Badumbauten oder Schwellenabbau lagen schnell im vier- bis fünfstelligen Bereich. Ergebnis: Nur rund ein Drittel der Eigentümer fühlte sich finanziell in der Lage, einen barrierefreien Umbau zu stemmen.
Seit 2020 neu justiert: Rechte, Pflichten und Kostentragung
- WEG-Recht (WEMoG): Barriereabbau ist als privilegierte bauliche Veränderung einzuordnen. Die Gemeinschaft muss solche Maßnahmen duldend ermöglichen, sofern sie zumutbar sind; die Kosten trägt grundsätzlich der Antragsteller (vgl. heute § 20 Abs. 2 WEG i. V. m. § 19 WEG, Gesetzestext). Typische Beispiele: Rampen an Eingängen, Türverbreiterungen im Gemeinschaftsbereich, automatische Türöffner.
- Mietrecht: Mieter haben einen Anspruch auf Zustimmung zu angemessenen Maßnahmen zur Barrierefreiheit auf eigene Kosten; Rückbau kann vereinbart werden (vgl. § 554 BGB, Gesetzestext).
- Öffentliches Recht: Neubauten müssen die einschlägigen Vorgaben zur Barrierefreiheit erfüllen (u. a. DIN 18040, landesrechtliche Bauordnungen). Im Bestand bleibt der barrierefreie Umbau eine freiwillige, aber zunehmend wirtschaftlich sinnvolle Entscheidung.
Was „barrierefrei“ im Bestand praktisch bedeutet
- Zugang: Stufenlose Erschließung, Rampen, Handläufe, kontrastreiche Leitsysteme, Türöffner.
- Vertikal: Treppenlift/Plattformlift oder Nachrüstung eines kleinstmöglichen Aufzugs, ausreichend Bewegungsflächen.
- Gemeinschaftsflächen: Schwellenfreie Hauseingänge, verbreiterte Türen, barrierearme Müll-, Fahrrad- und Kellerräume, gut erreichbare Briefkästen/Klingeln.
- Wohnung: Badumbau (bodengleiche Dusche, Haltegriffe, unterfahrbare Waschtische), Schwellenabbau, Türverbreiterung, Schalter-/Steckdosenhöhen.
- Parken & Mobilität: Markierte Stellflächen, sichere Wegeführung aus der Tiefgarage, Beleuchtung und Kontraste.
Kosten & Wirtschaftlichkeit: realistisch einordnen
Ein barrierefreier Umbau ist selten „ein“ Projekt, sondern ein Paket aus vielen kleinen Maßnahmen. Erfahrungsgemäß sind die besten Rendite-Hebel:
- „No Regret“-Maßnahmen: Schwellen entfernen, Handläufe ergänzen, Türdrücker/Schalter tauschen, Kontraste/Beleuchtung verbessern. Niedrige Kosten, sofortige Wirkung.
- Badumbau bei Gelegenheit: Im Zuge ohnehin fälliger Sanierungen bodengleiche Duschen und Haltegriffe vorsehen; Mehrkosten sind gegenüber Standardlösungen moderat.
- Zugang zuerst: Eine praxistaugliche Rampe schafft für viele Nutzergruppen Mehrwert und erhöht die Drittverwendungsfähigkeit des Objekts.
Wichtig für WEGs: Maßnahmen am Gemeinschaftseigentum mit allgemeinem Nutzen steigern regelmäßig die Marktgängigkeit und reduzieren Leerstands- sowie Vermietungsrisiken. Das wirkt langfristig auf Werte und Nebenkostenstabilität.
Wer zahlt was? Die aktuelle Logik in WEGs
- Privilegierte Einzelmaßnahme (z. B. Rampenmodul für eine einzelne Nutzergruppe): Duldung durch die Gemeinschaft; Kosten und Folgekosten grundsätzlich beim Antragsteller; Rückbau-/Unterhaltungsregelung per Beschluss.
- Allgemeine Verbesserung (z. B. dauerhaft barrierefreier Haupteingang): Entscheidung als Maßnahme ordnungsmäßiger Verwaltung; Kosten nach § 16 WEG verteilen, abweichende Verteilung nur bei tragfähiger Begründung.
- Sondereigentum (Badumbau, Türverbreiterung in der Wohnung): Sache des jeweiligen Eigentümers/Mieters; Gemeinschaft nur bei Eingriffen ins Gemeinschaftseigentum betroffen.
Praxis-Tipp: Beschlüsse sauber trennen (Maßnahme / Finanzierung / Vollmacht / Nutzung & Rückbau) und die Zumutbarkeit nachvollziehbar dokumentieren. Unterstützung durch professionelle Verwaltung einplanen.
Förderung, Pflege & Steuern: drei verlässliche Säulen
- Pflegekasse: Wohnumfeldverbessernde Maßnahmen können je Pflegebedürftigem mit Zuschüssen gefördert werden (gesetzliche Grundlage § 40 Abs. 4 SGB XI).
- Steuerbonus: Handwerkerleistungen im Haushalt sind nach § 35a EStG begünstigt; Arbeitskosten sind teilweise direkt von der Einkommensteuer abziehbar.
- Programme von Bund/Land/Kommunen: Förderrichtlinien ändern sich regelmäßig. Vor Beschlussfassung tagesaktuelle Förderchecks durchführen und Zuschüsse/Kredite in die Beschlussarchitektur einbauen.
Beschluss- und Ablaufmuster für WEGs
- Bedarf & Ziel: Welche Barrieren bestehen? Welche Nutzergruppen profitieren? Prioritätenliste erstellen.
- Technik & Recht: Variantenstudie (z. B. feste Rampe vs. Klapprampe), Zumutbarkeit, Brandschutz/Fluchtwege, Denkmal-/Bauordnungsrecht prüfen.
- Kosten & Förderung: Invest, Betrieb, Unterhalt; Fördercheck und Steuerwirkungen; Beschlussfähiges Budget bilden.
- Beschlüsse: a) Maßnahme; b) Finanzierung/Kostenverteilung; c) Verwaltervollmacht (Ausschreibung, Vergabe, Bauleitung); d) Nutzungs- und Rückbauregelungen; e) Dokumentation der Zumutbarkeit.
- Umsetzung: Ausschreibung/Verhandlung, Ausführung, Abnahme, Gewährleistung, Nutzerinformation.
FAQ für Eigentümer, Beirat und Verwaltung
Kann die Gemeinschaft barriereabbauende Maßnahmen einfach ablehnen?
Nur, wenn die konkrete Ausführung unzumutbar ist (z. B. gravierende Beeinträchtigung, Sicherheitsrisiko) oder bessere Alternativen bestehen. Sonst besteht Duldungspflicht (WEG).
Muss alles rückbaubar sein?
Bei individuell veranlassten Maßnahmen ja: Rückbau- und Unterhaltungsregeln gehören in den Beschluss. Allgemeine Verbesserungen, die allen zugutekommen, sind regelmäßig dauerhaft.
Gilt Barrierefreiheit nur für Seniorinnen/Senioren?
Nein. Sie nützt Familien mit Kinderwagen, Menschen mit temporären Einschränkungen, Lieferdiensten, Rettungskräften – also der gesamten Hausgemeinschaft.
Erhöht Barrierefreiheit die Kosten?
Kurzfristig: Investition. Mittelfristig: geringere Reibungsverluste, weniger Unfälle, bessere Vermietbarkeit/Veräußerbarkeit. Klug geplante Maßnahmen rechnen sich häufig.
Checkliste „Barrierefreier Umbau“ für die nächste Eigentümerversammlung
- Bestandsaufnahme mit Fotodokumentation
- Prioritätenliste & Variantenvergleich
- Rechtsprüfung (WEG, Bauordnung, Brandschutz)
- Kosten-/Förderkonzept, Steuerprüfung (§ 35a EStG)
- Beschlussvorlagen getrennt nach Maßnahme/Finanzierung/Nutzung
- Verwaltervollmacht für Ausschreibung und Vergabe
- Informationspaket für Eigentümer/Mieter
Fazit: Der barrierefreie Umbau ist kein Luxus, sondern ein strategischer Werterhalt – rechtlich erleichtert, organisatorisch planbar und wirtschaftlich vernünftig. Wer systematisch priorisiert, sauber beschließt und Förderwege nutzt, macht seine Immobilie zukunftstauglich und erhält die Lebensqualität im Haus.
Autor: Harald Reiner, Hausverwaltung Reiner GmbH
Ursprünglicher Artikel: September 2017
Aktualisiert am: 28.10.2025




