BGH erklärt Beschluss über Instandhaltungskosten für nichtig – und was seit dem WEMoG 2020 nun (wieder) per Mehrheitsbeschluss möglich ist

Aktualisiert am: 24.10.2025


Ausgangslage 2009: Warum der damalige Beschluss nichtig war

Der Bundesgerichtshof (BGH, Urteil vom 25.09.2009, V ZR 33/09) erklärte einen Mehrheitsbeschluss für nichtig, mit dem eine Wohnungseigentümergemeinschaft die Instandhaltungskosten für Terrassenfenster und -türen pauschal den jeweiligen Sondereigentümern auferlegen wollte. Die Teilungserklärung enthielt keine Öffnungsklausel. Nach damaliger Rechtslage durften Eigentümer die Gemeinschaftsordnung ohne Öffnungsklausel nicht durch bloßen Beschluss ändern. Fenster standen im Gemeinschaftseigentum; Instandhaltung und Instandhaltungskosten waren Sache der Gemeinschaft. Eine flächendeckende Kostenabwälzung per Mehrheitsbeschluss war kompetenzwidrig.


Systemwechsel 01.12.2020: WEMoG bringt flexible Kostenverteilung per Beschluss

Mit dem WEMoG hat der Gesetzgeber die Kostensteuerung neu geordnet. Kerneffekt:

  • § 16 Abs. 2 WEG n. F.: Die Gemeinschaft kann durch Beschluss eine abweichende Kostenverteilung festlegen, insbesondere nach Gebrauch/Verursachung oder für bestimmte Kostenarten. Eine Öffnungsklausel ist hierfür nicht mehr nötig.
  • § 19 Abs. 2 Nr. 2 WEG: Ordnungsmäßige Instandhaltung und Instandsetzung bleibt Aufgabe der Gemeinschaft; die Organisation der Maßnahme liegt weiterhin beim Verband.
  • § 20, § 21 WEG: Bauliche Veränderungen und deren Kostenzuordnung folgen eigenen Regeln; bei reiner Instandsetzung bleibt § 16 Abs. 2 WEG das zentrale Instrument für die Instandhaltungskosten.

Vorher–Nachher im Direktvergleich

AspektRechtslage 2009 (vor WEMoG)Rechtslage seit 01.12.2020 (WEMoG)
Zuständigkeit FensterGemeinschaftseigentum; Instandhaltung durch GemeinschaftUnverändert: Durchführung durch Gemeinschaft
Kostenverteilung FensterAbweichung von Miteigentumsanteilen nur durch Vereinbarung/Öffnungsklausel oder punktuell im EinzelfallAbweichende Verteilung der Instandhaltungskosten durch Mehrheitsbeschluss möglich, wenn ordnungsmäßig und sachlich begründet (§ 16 Abs. 2 WEG)
Dauerhafte SchlüsselOhne Öffnungsklausel unzulässigDauerhafte Beschlüsse zu bestimmten Kostenarten zulässig, solange bestimmt, sachlich und rechtmäßig
PflichtübertragungUnzulässig per BeschlussWeiterhin unzulässig: Pflicht zur Durchführung bleibt bei der Gemeinschaft; nur Kostenlast ist disponibel
EinzelfalllösungJa, aber eng begrenztJa; zusätzlich nun auch generelle Regeln für definierte Kostenarten möglich

Wichtiges Abgrenzungsprinzip

Zuständigkeit ≠ Kostenlast. Seit WEMoG kann die Gemeinschaft per Beschluss die Instandhaltungskosten für bestimmte Bauteile (z. B. Fenster) ganz oder teilweise abweichend verteilen. Die Ausführung bleibt aber Sache der Gemeinschaft. Eine „Delegation“ der Instandhaltungspflicht an einzelne Eigentümer durch Beschluss ist weiterhin unzulässig.


Was heute zulässig ist – und was nicht

  • Zulässig: Beschluss, dass künftige Instandhaltungskosten für Fenster/Türen anteilig nach Verursachung/Gebrauch oder ausschließlich durch die begünstigten Sondereigentümer getragen werden, wenn das billig, bestimmt und verhältnismäßig ist.
  • Zulässig: Abweichender Kostenschlüssel für eine konkrete Maßnahme (Crash-Beschluss) – siehe Leitfaden „Crashbeschluss nach § 16 Abs. 2 WEG“.
  • Nicht zulässig: Beschluss, der die Instandhaltungspflicht an sich auf den jeweiligen Sondereigentümer verlagert.
  • Nicht zulässig: Unbestimmte, pauschale „Alle Fenster immer auf eigene Kosten“-Formel ohne Differenzierung, Begründung oder Härteausgleich.

Praxisleitlinien für tragfähige Beschlüsse zu Instandhaltungskosten

  • Bestimmtheit: Genaue Bezeichnung der Bauteile (z. B. „außenliegende Fensterflügel und -rahmen der jeweiligen Einheit“), des Umfangs und des Kostenschlüssels.
  • Sachlicher Grund: Exklusive Nutzung/Vorteil, abweichende Ausstattung, unterschiedliche Schadensursachen, klar abgrenzbarer Nutzen.
  • Gleichbehandlung: Einheitliche Regeln für gleichartige Lagen/Ausführungen; sachliche Differenzierung ist zulässig.
  • Zeitliche Wirkung: Grundsätzlich ex nunc; Rückwirkung nur eng und begründet.
  • Dokumentation: Technische Grundlage (Zustandsbericht), Kostenschätzung, rechtliche Begründung in der Einladungsvorlage.

Musterformulierungen

1) Dauerregel für künftige Fenster-Instandsetzungen

„Die Gemeinschaft beschließt gemäß § 16 Abs. 2 WEG, dass die Instandhaltungskosten für die außenliegenden Fenster (Flügel/Rahmen einschließlich Beschläge und Dichtungen, ohne tragende Leibungen und Stürze) künftig von den jeweiligen Sondereigentümern der betroffenen Einheiten getragen werden. Die Durchführung der Maßnahmen erfolgt durch die Gemeinschaft; die Kosten werden in der Jahresabrechnung der jeweils betroffenen Einheit zugeordnet. Sonder- und Härtefälle bleiben unberührt.“

2) Einzelfallbeschluss („Crashbeschluss“)

„Für die Maßnahme Erneuerung Fenster Haus A, 2. OG rechts werden die Instandhaltungskosten gemäß § 16 Abs. 2 WEG abweichend verteilt und vollständig der Sondereigentumseinheit Nr. … zugeordnet, da der Nutzen ausschließlich dieser Einheit zugutekommt und eine Beeinträchtigung anderer Einheiten nicht vorliegt.“


Typische Fallkonstellationen und empfohlene Kostenzuordnung

  • Einzelfenster-Schaden durch Nutzungsverhalten: abweichende Verteilung zulässig.
  • Serienschaden durch Konstruktionsmangel: Regelmäßig gemeinschaftliche Instandhaltungskosten; Regress prüfen.
  • Sonderwunsch-Ausführung (z. B. Schallschutz, Design): Mehrkosten dem Nutznießer zuordnen.
  • Gesamtaustausch Strang/Ansicht: Regelmäßig gemeinschaftliche Last, abweichende Verteilung nur mit tragfähiger Begründung.

Einladung und Protokoll: Formfehler vermeiden

  • TOP-Text klar: „Abweichende Kostenverteilung gemäß § 16 Abs. 2 WEG für …“
  • Begründung in der Anlage: technischer Bericht, Nutzen-/Lastenabwägung.
  • Beschlusswortlaut vollständig ins Protokoll, inkl. Geltungsbeginn und Anwendungsbereich.

Auswirkungen auf Wirtschaftsplan, Sonderumlagen und Abrechnung

  • Wirtschaftsplan: Neue Schlüssel hinterlegen; betroffene Kostenarten separat ausweisen.
  • Sonderumlage: Abweichenden Verteilschlüssel ausdrücklich beschließen.
  • Jahresabrechnung: Transparente Darstellung der Instandhaltungskosten und der Zuordnung in der Einzelabrechnung.

Checkliste für Beirat und Verwaltung

  • Zustand und Ursache klären (Belege, Fotos, Gutachten).
  • Nutzen/Nachteile und Gleichbehandlung abwägen.
  • Beschlussformulierung prüfen (Bestimmtheit, Reichweite, Beginn).
  • Informationspaket mit Einladung versenden.
  • Nach Beschluss: Schlüssel in Software pflegen, Umsetzung beauftragen, Kommunikation sichern.

Kurzfazit

Der Beschluss von 2009 war zu Recht nichtig, weil er ohne Öffnungsklausel die Kostenordnung der Teilungserklärung „per Mehrheitsbeschluss“ verändern wollte. Seit dem WEMoG dürfen Eigentümer Instandhaltungskosten für definierte Bauteile wie Fenster per Beschluss abweichend verteilen. Grenzen bleiben: Durchführungshoheit bei der Gemeinschaft, Bestimmtheit, Billigkeit, Gleichbehandlung. Wer sauber begründet und exakt formuliert, gewinnt Flexibilität ohne Rechtsrisiko.


Autor: Harald Reiner, Hausverwaltung Reiner GmbH