Wohnfläche im Mietrecht: BGH kippt Toleranz bei Mieterhöhung – was seit 2015 gilt und worauf Sie heute achten sollten
Mit Urteil vom 18.11.2015 (VIII ZR 266/14) hat der Bundesgerichtshof die bis dahin häufig angenommene „Toleranzgrenze“ bei der Wohnfläche für Mieterhöhungen nach § 558 BGB faktisch beseitigt: Entscheidend ist die tatsächliche Wohnfläche – nicht eine vertraglich genannte, „ca.“-angedeutete oder rechnerisch hergeleitete Größe. Seither gilt: Für die Berechnung der ortsüblichen Vergleichsmiete ist die reale Wohnfläche maßgeblich. Das reduziert Streit über Aufschläge und schafft mehr Präzision – verlangt aber saubere Grundlagen.
Rechtslage in Kürze: Mieterhöhung, Mietminderung, Betriebskosten
- Mieterhöhung (§ 558 BGB): Maßstab ist die tatsächliche Wohnfläche (BGH VIII ZR 266/14). Eine „10 %-Toleranz“ greift hier nicht. Wer erhöhte Mieten fordert, muss die Fläche belastbar ansetzen.
- Mietminderung: Die bekannte 10 %-Grenze aus der älteren Rechtsprechung bleibt als Faustregel bei Flächenabweichungen für Mängel/Minderung relevant. Sie ist aber keine Abkürzung für Mieterhöhungen.
- Betriebskostenabrechnung: Wird nach Fläche verteilt, ist eine konsistente, plausibel ermittelte Wohnfläche zu nutzen. Die Abrechnung muss formell schlüssig bleiben; Detailfragen werden im Zweifel über Belegeinsicht geklärt.
Wie wird die Wohnfläche richtig ermittelt?
- Bezugsnorm: Regelfall ist die Wohnflächenverordnung (WoFlV). Abweichungen (z. B. DIN 277) sind möglich, wenn im Mietvertrag eindeutig vereinbart; dann aber verbindlich anzuwenden.
- Schrägen & Lufträume: Nach WoFlV zählen Flächen unter 1,00 m nicht, 1,00–2,00 m zu 50 %, über 2,00 m zu 100 %.
- Balkone/Loggien/Terrassen: In der Praxis häufig 25 % (bis 50 % bei hochwertiger Ausführung); die konkrete Gewichtung muss nachvollziehbar sein.
- Nebenräume: Kellerräume, Heizungsräume und Garagen sind keine Wohnfläche; Abstellräume innerhalb der Wohnung hingegen schon.
- „Ca.“-Angaben: Dienen nur als Orientierung. Bei der Mieterhöhung ist gleichwohl die reale Wohnfläche zu Grunde zu legen.
Praktische Folgen für Vermieter und Mieter
- Sorgfältige Datengrundlage: Wer erhöhen will, sollte messen (lassen). Veraltete Planwerte sind risikobehaftet, insbesondere nach Umbauten, Fenstertausch, Dämmung oder Grundrissänderungen.
- Vermeidung von Streit: Eine neutrale Aufmaßskizze (z. B. nach WoFlV) mit kurzer Erläuterung zu Schrägen und Außenflächen senkt Angriffsflächen – und beschleunigt Einigungen.
- Vereinbarung im Vertrag: Ist eine andere Norm (DIN 277) ausdrücklich vereinbart, gilt diese – aber konsequent und für alle Flächenbestandteile.
- Kosten/Nutzen: Professionelles Aufmaß kostet, verhindert aber häufig jahrelange Auseinandersetzungen über Flächenabweichungen, Nachzahlungen oder Rückforderungen.
Besonderheiten in der WEG-Praxis
- WEG-Abrechnung ≠ Wohnfläche: In der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer laufen Verteilungen meist über Miteigentumsanteile (MEA) gemäß Teilungserklärung – nicht über die Wohnfläche. Maßgeblich ist die Vereinbarung, nicht die WoFlV.
- Heizkosten & Grundkostenanteil: Für Heizkostenverteilungen kann die Wohnfläche als Grundkosten-Schlüssel herangezogen werden. Dann sind konsistente Flächenstände wichtig – auch gegenüber Mietern.
- Vermietung innerhalb der WEG: Eigentümer, die an Mieter abrechnen, sollten prüfen, ob ihre mietvertraglich verwendete Wohnfläche zur tatsächlichen Fläche passt. Unterschiedliche Flächenbegriffe (TE-„Nutzfläche“ vs. mietrechtliche „Wohnfläche“) sind sauber zu trennen.
Typische Fehlerquellen – und wie man sie vermeidet
- Vermengung von Normen: WoFlV und DIN 277 sind nicht deckungsgleich. Mischen führt zu falschen Ergebnissen.
- Außenflächen überschätzt: Balkone und Terrassen zu hoch gewichtet – hier drohen Korrekturen.
- Dachschrägen pauschal zu 100 %: Die 1,00/2,00-Meter-Regel der WoFlV beachten.
- „Circa“ als Freibrief: Für die Mieterhöhung zählt die reale Wohnfläche – „ca.“ schützt nicht vor Korrekturen.
- Alte Pläne ungeprüft übernommen: Sanierungen ändern Flächenzuschnitte; Planmaß ist kein Aufmaß.
Empfohlener Ablauf für eine belastbare Wohnfläche
- Schritt 1: Mietvertrag prüfen: Ist eine Messnorm vereinbart? Falls nein, WoFlV als Standard heranziehen.
- Schritt 2: Aktuelles Aufmaß erstellen lassen (inkl. Schrägen, Außenflächen, Abstellräume).
- Schritt 3: Ergebnis dokumentieren (Skizze, Flächenliste, kurze Erläuterung der Ansatzpunkte).
- Schritt 4: In der Kommunikation transparent bleiben: Basis, Datum des Aufmaßes und Besonderheiten benennen.
- Schritt 5: Für WEG-Eigentümer: Prüfen, wo Wohnfläche tatsächlich benötigt wird (Heizkosten, Vermietung) – und wo MEA maßgeblich sind (WEG-Jahresabrechnung).
FAQ kompakt
- Gilt die 10 %-Grenze noch? Für Mieterhöhungen nach § 558 BGB nicht; dort ist die tatsächliche Wohnfläche maßgeblich. Für Minderungen bleibt die 10 %-Schwelle ein wichtiger Orientierungswert der Rechtsprechung.
- Welche Norm soll ich nutzen? Ohne ausdrückliche Vereinbarung: WoFlV. Mit Vereinbarung: die benannte Norm (z. B. DIN 277) – aber dann konsequent.
- Wer trägt die Messkosten? In der Praxis derjenige, der sich auf die Fläche beruft (typisch: Vermieter bei Mieterhöhung). Bei Streit kann ein neutrales Aufmaß Klarheit schaffen.
- Was ist mit Balkon, Loggia und Dachterrasse? Häufig 25 % (bis 50 % bei hoher Qualität). Die konkrete Bewertung muss begründet sein.
- Warum weicht die WEG-Abrechnung von meiner Mietabrechnung ab? Weil die WEG meist nach MEA verteilt, während die Mietabrechnung nach mietrechtlicher Wohnfläche gehen kann. Unterschiedliche Rechtsgrundlagen – unterschiedliche Schlüssel.
Ursprünglicher Artikel: November 2015
Aktualisiert am 19.11.2025 von Harald Reiner, Hausverwaltung Reiner GmbH




