Entziehungsklage und „Ehegattensplitting“ im WEG: Was der BGH 2018 entschied und wie das seit der WEMoG gilt
Aktualisiert am: 27.10.2025
Kurzfassung
Der Bundesgerichtshof hat 2018 klargestellt: Gehört eine Wohnung mehreren Personen (z. B. Ehegatten als Bruchteilseigentümer), kann das Wohnungseigentum insgesamt entzogen werden, wenn nur einer der Miteigentümer schwer stört. Der nicht störende Miteigentümer kann die Entziehung bis zum Zuschlag abwenden, wenn er den Anteil des Störers übernimmt, den Störer dauerhaft aus der Anlage entfernt und alle Kosten der Rechtsverfolgung ersetzt (BGH, Urt. v. 14.09.2018 – V ZR 138/17). Seit 01.12.2020 ist die Entziehung im reformierten Recht in § 17 WEG geregelt. Inhaltlich gilt die Linie des BGH fort. Gemeinschaften brauchen einen formal sauberen Beschluss, gute Beweise und belastbare Beschlussformeln. Nicht störende Ehegatten brauchen eine schnelle, vollständige Abwendungslösung.
Der Ausgangsfall (2018): „Ehegattensplitting“ bei der Entziehung
Eine Wohnung gehörte Ehegatten je zur Hälfte. Der Ehemann beleidigte und attackierte wiederholt andere Eigentümer, beschmierte gemeinschaftliche Flächen und wurde handgreiflich. Die Gemeinschaft beschloss die Entziehung und klagte gegen beide. Das Amtsgericht verurteilte beide. Das Landgericht verurteilte nur den Ehemann zur Veräußerung seines hälftigen Anteils. Der BGH stellte das erstinstanzliche Urteil wieder her: Entziehung der ganzen Einheit ist zulässig, obwohl nur einer stört.
Die Kernaussagen des BGH
1) Objektbezogener Ansatz
Bei Bruchteilseigentum ist auf das Objekt abzustellen, nicht auf Personen. Verwirklicht ein Miteigentümer einen Entziehungstatbestand, kann die Wohnung insgesamt entzogen werden. Hintergrund: effektiver Rechtsschutz und rasche Wiederherstellung des Gemeinschaftsfriedens.
2) Abwendungsbefugnis des nicht störenden Miteigentümers
Der nicht störende Ehegatte kann die Wirkungen des Entziehungsurteils bis zum Zuschlag abwenden, wenn kumulativ:
- er den Miteigentumsanteil des Störers erwirbt (Kauf oder unentgeltlicher Übergang),
- den Störer dauerhaft und einschränkungslos aus der Anlage entfernt (Nutzung und Aufenthalt),
- und der Gemeinschaft alle außergerichtlichen und gerichtlichen Kosten von Entziehungsprozess und Zwangsvollstreckung ersetzt.
Die Prüfung der Abwendungsbefugnis erfolgt regelmäßig erst im Vollstreckungsstadium (Vollstreckungsgegenklage). Parteien können die Frage aber schon im Ausgangsprozess per Feststellungsantrag klären lassen.
Heutiger Rechtsrahmen seit 01.12.2020 (WEMoG)
Mit der Reform wurde die Entziehung systematisch neu gefasst. Heute gilt:
- Norm: § 17 WEG („Entziehung des Wohnungseigentums“). Die frühere Systematik (§§ 18, 19 a. F.) wurde konsolidiert.
- Voraussetzungen: Schwerwiegende Pflichtverletzung, die das weitere Zusammenleben unzumutbar macht (z. B. nachhaltige Störungen, Straftaten gegen Miteigentümer, massive Hausgeldrückstände mit qualifizierter Gewichtung).
- Beschlussfassung: Entziehungsbeschluss mit qualifizierter Mehrheit, wie im Gesetz vorgegeben (Mehrheit der stimmberechtigten Eigentümer; Wortlaut des aktuellen § 17 WEG beachten). Der Beschluss muss ein schriftliches Veräußerungsverlangen und Fristsetzung decken.
- Klagegegner: Bei Bruchteilseigentum beide Miteigentümer. Die objektbezogene Sicht des BGH bleibt maßgeblich.
- Abwendungsbefugnis: Die vom BGH entwickelte Lösung gilt fort. Sie wird im Vollstreckungsstadium umgesetzt: vollständiger Anteilserwerb, Entfernung des Störers, Kostenerstattung an den Verband.
Praxis für Gemeinschaften und Verwalter
1) Beweise sichern
- Protokollierte Vorfälle mit Datum, Uhrzeit, Ort, Beteiligten, Zeugen.
- Strafanzeigen, Ordnungsverfügungen, ärztliche Atteste, Fotos, Video nur rechtskonform.
- Schriftliche Abmahnungen mit Zustellnachweis und konkreter Unterlassungsaufforderung.
2) Beschluss sauber formulieren
- Feststellungen zu den Pflichtverletzungen.
- Veräußerungsverlangen mit Frist (angemessen, aber straff).
- Prozessermächtigung des Verbands, Beauftragung von Anwälten, Kostentragung.
- Ermächtigung zur Einleitung und Fortführung des Zwangsversteigerungsverfahrens.
3) Prozessökonomie
- Klage gegen alle Miteigentümer, wenn Bruchteilseigentum vorliegt.
- Bei „Ehegattensplitting“: objektbezogene Begründung, keine Personalisierung.
- Parallel: Sicherungsmaßnahmen prüfen (einstweilige Verfügung bei akuter Gefahr).
4) Kosten
- Der Verband macht alle notwendigen Kosten geltend (gerichtlich/außergerichtlich, inkl. Zwangsversteigerung).
- Bei Abwendung: vollständiger Ausgleich durch den nicht störenden Miteigentümer.
Abwendungsfahrplan für den nicht störenden Ehegatten
- Realistische Entscheidung: Anteil übernehmen oder nicht? Finanzierung klären.
- Rechtssicherer Erwerb: Notarieller Vertrag, Grundbuchvollzug, zügige Lasten-/Nutzenübertragung.
- Dauerhafte Entfernung: Räumung, Nutzungs- und Aufenthaltsausschluss in der Anlage, dokumentiert.
- Kostenersatz: Alle Verbandskosten begleichen (Entziehungsklage, Vollstreckung, Versteigerungsvorbereitung).
- Vollstreckungsabwehr: Nachweis der Abwendungsvoraussetzungen in der Vollstreckungsgegenklage.
Häufige Fehler
- Unklare Beschlussformeln ohne Frist und Prozessermächtigung.
- Nur gegen den „Störer“ klagen, obwohl Bruchteilseigentum vorliegt.
- Unscharfe Beweise („man sagt“) statt belastbarer Dokumentation.
- Zu lange passive Phasen, wodurch Wiederholungen das Klima weiter vergiften.
- Abwendungsversuch ohne vollständige Erfüllung aller drei Elemente.
Einordnung: Was sich seit 2019 geändert hat
- Systematik: Entziehung jetzt in § 17 WEG. Die BGH-Grundsätze zum objektbezogenen Ansatz und zur Abwendungsbefugnis gelten fort.
- Formalien: Beschluss- und Klagepraxis wurden durch die Reform gestrafft. Die formelle Qualität des Entziehungsbeschlusses ist zentral.
- Verbandskompetenz: Die Rolle des Verbands als Kläger und Kostengläubiger ist geschärft. Das erleichtert die Durchsetzung, verlangt aber saubere Dokumentation und Beschlüsse.
Checkliste für Verwalter und Beirat
- Aktuelle Teilungserklärung und Gemeinschaftsordnung prüfen.
- Vorbereitende Abmahnung mit Zustellnachweis an alle Miteigentümer der Einheit.
- Beweismappe (Vorfälle, Zeugenlisten, Belege) erstellen.
- Beschlussentwurf mit Veräußerungsverlangen, Frist, Prozessvollmacht, Kostenermächtigung.
- Zeitschiene: Beschluss → Verlangen → Klage → Titel → Vollstreckung/Versteigerung.
- Kommunikation: nüchtern, faktenbasiert, ohne Eskalationssprache.
Fazit
„Ehegattensplitting“ im Sinne des Wohnungseigentumsrechts bedeutet nicht, dass störungsfreies Verhalten eines Miteigentümers die Einheit rettet. Maßstab ist das Objekt. Wer stört, gefährdet die ganze Wohnung. Der BGH hat zugleich eine klare Brücke gebaut: Die nicht störende Person kann retten, wenn sie den Anteil übernimmt, den Störer konsequent fernhält und der Gemeinschaft alle Kosten erstattet. Für Gemeinschaften bleibt entscheidend: formal wasserdichte Beschlüsse, saubere Beweise, konsequente Durchsetzung. Für nicht störende Ehegatten: früh entscheiden, vollständig abwenden, lückenlos dokumentieren.
Autor: Harald Reiner, Hausverwaltung Reiner GmbH




