Eigenbedarfskündigung: Formelle Begründung, materielle Prüfung, Härte – Leitfaden mit Update 2025


Ursprünglicher Kern (August 2021): Der BGH stellte klar: Für die formell ordnungsgemäße Begründung einer Eigenbedarfskündigung genügt die Benennung der Bedarfsperson und die Darlegung des Interesses an der Wohnung. Ob der behauptete Bedarf tatsächlich besteht, ist materiell-rechtlich zu prüfen. Eine Überfrachtung des Kündigungsschreibens mit Details (Zimmerzahl, Grundrisse etc.) ist formell nicht erforderlich.


Rechtsgrundlagen – kompakt:

§ 573 Abs. 1 und 2 Nr. 2 BGB: Berechtigtes Interesse des Vermieters, insbesondere Eigenbedarf. Gesetze-im-Internet

§ 573 Abs. 3 BGB: Begründungspflicht im Kündigungsschreiben; Gründe sind anzugeben, spätere Gründe nur, wenn nachträglich entstanden. Gesetze-im-Internet

§ 568 BGB: Schriftform der Kündigung; Hinweis auf Widerspruchsmöglichkeit nach § 574 BGB. Gesetze-im-Internet

§ 574, § 574a BGB: Härteeinwand und Fortsetzung des Mietverhältnisses (ggf. befristet). § 574 · § 574a


Formelle Mindestanforderungen – was ins Schreiben gehört:

Bedarfsperson konkret benennen (z. B. Sohn/Tochter/Eltern/der Vermieter selbst; ggf. nähere Einordnung der Lebensbeziehung).

Bedarfsgrund knapp, aber erkennbar schildern (z. B. höherer Platzbedarf, Familienzuwachs, berufliche Nutzung/Homeoffice, pflegenaher Umzug, barrierearmer Wohnbedarf).

Adressierte Wohnung eindeutig bezeichnen (Lage, Etage, Wohnungsnummer).

Fristen und Hinweis auf Widerspruch sowie Form/Frist des Widerspruchs nach § 574 BGB aufnehmen.

Keine Pflicht zur Detailbegründung im Sinne von Grundrissen, exakter Zimmerzählung oder Alternativwohnungsübersichten – diese Aspekte gehören in die materielle Prüfung, nicht in die formelle Mindestangabe.


Materiell-rechtliche Prüfung – die eigentlichen Streitpunkte:

Ernsthafter, nachvollziehbarer Eigenbedarf: Die Bedarfsperson will die Wohnung alsbald nutzen; Lebensplanung plausibel; kein willkürliches oder vorgeschobenes Interesse.

Bedarfsausgestaltung: Auch „Homeoffice“ oder berufliche Nutzungsteile können Eigenbedarf stützen, wenn der Wohnzweck überwiegt; rein wirtschaftliche Motive genügen nicht.

Selbstgeschaffener Bedarf ist nicht per se rechtsmissbräuchlich; entscheidend sind Ernsthaftigkeit und Plausibilität der Planung.

Alternativwohnungen im Bestand: Der Vermieter muss keine freie gleichwertige Wohnung vorrangig anbieten, doch bekannte, konkret verfügbare Alternativen können in die Interessenabwägung einfließen.

Vortäuschung/Wechsel der Gründe: Missbrauch wird streng geprüft. Spätere Planänderungen sind möglich, müssen aber schlüssig erklärt werden; reine „Nachschiebung“ ohne Bezug ist riskant.


Härte nach § 574 BGB – Akzente der neueren Rechtsprechung (Praxisstand 2025):

Gesundheitliche Härte: Erhöhte Anforderungen an die Plausibilisierung, aber kein starres Attesterfordernis. Entscheidend ist ein konkreter Sachvortrag mit belastbaren medizinischen Anknüpfungstatsachen (Diagnose, Therapien, Umzugsfolgen, Prognose).

Suizidgefahr/psychische Ausnahmesituationen: Können eine Fortsetzung rechtfertigen, wenn die Gefahr konkretisiert und ärztlich tragfähig unterlegt ist.

Alter, Mietdauer, soziale Bindungen: Erhöhen das Gewicht des Mieterinteresses, reichen allein aber regelmäßig nicht; maßgeblich ist die Gesamtabwägung aller Umstände.

Fortsetzung auf Zeit (§ 574a BGB): Häufige Lösung, wenn Härte vorliegt, der Eigenbedarf aber ebenfalls gewichtig ist; räumliche Übergangsfristen und Sozialkriterien sind zu konkretisieren.


Best-Practice für Vermieter – sauber kündigen:

Schriftform wahren; eigenhändig unterschreiben; bei GbR/Erbengemeinschaft Vertretungslage klarstellen.

Bedarfsperson plus Kerninteresse eindeutig nennen; überladenen Detailkatalog vermeiden.

Zugang beweissicher gestalten (Bote/Einwurfprotokoll); Fristen berechnen.

Härtehinweis nach § 574 BGB aufnehmen; Kommunikationsangebot machen (Besichtigung, Übergabefenster, Umzugshilfe als Einigungsvorschlag).

Dokumentation vorbereiten für den Prozess: Nutzungsplan der Bedarfsperson, zeitliche Abläufe, ggf. Nachweise zum Arbeitsplatz/Homeoffice, Familienkonstellation, Barrierebedarf.


Best-Practice für Mieter – wirksam verteidigen:

Frist für den Widerspruch beachten (spätestens zwei Monate vor Beendigung), formgebunden und begründet.

Härte substantiiert vortragen: Gesundheitslage, Pflegebedarfe, Schul-/Kita-Bindungen, fehlende Alternativen am Markt; Nachweise geordnet beifügen.

Vergleichsbereitschaft signalisieren: Verlängerter Auszug, Zwischenlösung, Umzugskostenzuschuss; gerichtliche Fortsetzung auf Zeit in Betracht ziehen.


Typische Fehler – und wie man sie vermeidet:

Formelle Überfrachtung der Kündigung → Unübersichtlich, aber ohne Mehrwert; Kernangaben genügen.

Blanko-Behauptungen („mehr Platz“) ohne nachvollziehbaren Kontext → materiell angreifbar; kurz erläutern, warum gerade diese Wohnung benötigt wird.

Wechselnde Begründungen ohne roten Faden → Glaubwürdigkeitsrisiko; Planänderungen sauber dokumentieren.

Ignorierter Härtevortrag → Prozessrisiko; Abwägung protokollieren, Einigungsangebote dokumentieren.


FAQ – Eigenbedarfskündigung kurz beantwortet:

Muss ich Zimmerzahlen und Grundrisse darlegen? Formell nein; materiell sollte der Bedarf schlüssig sein.

Reicht „Homeoffice-Bedarf“? Ja, wenn der Wohnzweck überwiegt und die Nutzung plausibel ist.

Schützt hohes Alter automatisch? Nein; es erhöht das Gewicht der Mieterinteressen, ersetzt aber nicht die Abwägung.

Brauche ich ein Facharztattest für Härte? Nicht zwingend; entscheidend ist ein tragfähiger, konkreter medizinischer Sachvortrag.

Kann selbstgeschaffener Bedarf Eigenbedarf sein? Ja, wenn Planung ernsthaft und nachvollziehbar ist; reines Renditemotiv genügt nicht.


Quintessenz: Formell genügen Bedarfsperson und Kerninteresse. Gewonnen oder verloren wird die Eigenbedarfskündigung in der materiellen Prüfung: Plausibler Bedarf des Vermieters vs. Härte des Mieters. Saubere Schriftform, klarer Zugangsnachweis, geordnete Abwägung und dokumentierte Einigungsversuche senken das Prozessrisiko auf beiden Seiten.


Ursprünglicher Artikel: August 2021

Aktualisiert am 14.10.2025 von Harald Reiner, Hausverwaltung Reiner GmbH