Gestattungsvereinbarung: Mängel bei der Durchführung – Rechte der Gemeinschaft, Pflichten des Ausbauberechtigten
Leitsatz
Nutzt ein Wohnungseigentümer eine Gestattungsvereinbarung für einen Ausbau, schuldet er gegenüber der Gemeinschaft den Zustand, der bei fachgerechter, ordnungsmäßiger Wiederherstellung des betroffenen Gemeinschaftseigentums bestanden hätte. Ersatzfähig ist die Differenz zum Sollzustand.
Normenkette
§ 20 Abs. 1 WEG; § 9a Abs. 2 WEG; § 280 Abs. 1 BGB; § 249 Abs. 1 BGB.
Ausgangslage
Eine Gestattungsvereinbarung erlaubt Eingriffe in das Gemeinschaftseigentum für einen Dachausbau. Sie verpflichtet zur Ausführung durch Fachfirmen, zur Wiederherstellung des in Anspruch genommenen Gemeinschaftseigentums und zum Ersatz aller durch den Ausbau entstehenden Schäden. Nach Durchführung rügt die Gemeinschaft Mängel am Gemeinschaftseigentum und verlangt Schadensersatz.
Entscheidung (LG München I, Urteil v. 10.07.2024, 1 S 10018/22 WEG)
- Aktivlegitimation: Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer macht den Anspruch nach § 9a Abs. 2 WEG geltend.
- Anspruchsgrundlage: §§ 280 Abs. 1, 249 BGB i. V. m. der Gestattungsvereinbarung.
- Maßstab: Geschuldet ist die ordnungsmäßige, fachgerechte Wiederherstellung des betroffenen Gemeinschaftseigentums. Der Berechtigte muss mit der Sorgfalt eines Beauftragten handeln.
- Schaden: Differenz zwischen dem mangelhaften Ist-Zustand nach dem Ausbau und dem Soll-Zustand bei fachgerechter Umgestaltung des Gemeinschaftseigentums. Erstattet werden die hierfür nötigen Herstellungs- bzw. Mangelbeseitigungskosten.
Warum das wichtig ist
Gestattungen sind schuldrechtliche Ausnahmen. Sie erlauben Eingriffe ins Gemeinschaftseigentum, verschieben aber nicht das Risiko auf die Gemeinschaft. Wer baut, trägt das Leistungs- und Mängelrisiko für die von ihm veranlassten Eingriffe. Das Urteil definiert den Haftungsmaßstab klar: Naturalrestitution bis zum fachgerechten Sollzustand.
Praxisleitfaden für Verwaltungen und Beirat
1) Vor Beginn: klare Spielregeln festlegen
- Dokumentation Ausgangszustand: Fotodokumentation, Aufmaß, Protokoll relevanter Bauteile (Dach, Tragwerk, Brandschutz, Leitungen, Abdichtungen).
- Leistungsinhalt präzisieren: Wenn die Gestattung offen ist, Beschluss nach § 20 Abs. 1 WEG zum Wie (Ausführungsart, Anschlüsse ans Gemeinschaftseigentum, Schutzmaßnahmen, Abnahme).
- Fachunternehmen: Nachweis Qualifikation. Gewerke- und Eignungsnachweise anfordern.
- Nachweise vereinbaren: Planunterlagen, statische Nachweise, Brandschutzkonzept, Detailanschlüsse, Abdichtungsaufbau, Lüftungs-/Entwässerungskonzept, Fachunternehmererklärungen.
- Versicherung und Sicherheit: Bauherrenhaftpflicht, Bauleistungsversicherung; Sicherheitsleistung/Gewährleistungsbürgschaft für Mängel am Gemeinschaftseigentum.
- Baustellenregeln: Schutz des Bestands, Hausordnung, Ruhezeiten, Verkehrswege, Brandschutz während der Arbeiten.
2) Während der Ausführung: kontrollieren und protokollieren
- Meilenstein-Kontrollen: z. B. Rohbau/Durchbrüche, Abdichtung/Anschlussdetails, Dämmung/Dampfsperre, Haustechnik-Anschlüsse.
- Baubegleitung: Sachverständige oder Bauleitung der GdWE bei kritischen Details hinzuziehen.
- Mängelmanagement: Feststellungen schriftlich, Fristen setzen, Nacherfüllung überwachen.
3) Abnahme und Haftung
- Teilabnahmen der berührten Gemeinschaftsteile möglich und sinnvoll (z. B. Abdichtung, Durchdringungen, Brandschutz).
- Schlussabnahme mit gemeinschaftsbezogenem Abnahmeprotokoll; Beweislast klar regeln.
- Gewährleistung für Gemeinschaftsteile vertraglich an Fachfirmen anbinden; Abtretung der Ansprüche an die GdWE regeln.
Typische Mängelbilder beim DG-Ausbau
- Fehlerhafte Durchdringungen (Dach, Abdichtung, Luftdichtheit): Feuchteschäden, Schimmel.
- Wärmebrücken durch mangelhafte Dämm-/Anschlussdetails.
- Schallschutz unzureichend bei Aufstockungen/Neudecken.
- Brandschutz (Kapselung, Leitungsführung, Abschottungen) nicht normgerecht.
- Entwässerung (Gefälle, Notüberläufe) fehlerhaft. Rückstau-/Eindringschäden.
- Statik bei Lastaufbauten nicht ausreichend nachgewiesen.
Durchsetzung: so gehen Verwaltungen vor
- Mängelrüge an den Ausbauberechtigten. Konkrete Beschreibung, Fristsetzung, Androhung Ersatzvornahme.
- Sicherung Beweise (SV-Gutachten, Feuchtemessung, Thermografie, Öffnung an Schadensstellen nach Ankündigung).
- Ersatzvornahme nach Fristablauf, Kostenlast beim Berechtigten.
- Rechte bündeln: Geltendmachung durch die GdWE (§ 9a Abs. 2 WEG). Anspruch aus § 280 BGB i. V. m. Gestattung; Umfang nach § 249 BGB.
Checkliste: Mindestinhalte guter Gestattungen
- Arbeitsumfang und Detailstandard (Regelaufbauten, Anschlüsse, Normen, Herstellervorgaben).
- Fachfirmen- und Nachweispflichten (Pläne, Statik, Brand-/Schallschutz, Fachunternehmererklärungen).
- Schutz- und Verkehrssicherungspflichten im Bestand.
- Abnahmen (Meilensteine, Schlussabnahme), Dokumentation (As-Built, Gewährleistungsunterlagen).
- Haftung/Schadensersatz für alle Gemeinschaftsteile, Gewährleistungsfrist, Sicherheiten (Bürgschaft/Einbehalt).
- Kostentragung inkl. Plan-/Prüf-/SV-Kosten der Gemeinschaft und Folgekosten.
- Rückbau/Ersatzvornahme bei Verstößen; Vertragsstrafe für grobe Obliegenheitsverletzungen.
FAQ
Reicht „Fachfirma“ als Anforderung? Nein. Qualifikation und Nachweise benennen. Genaue Ausführungsstandards definieren.
Wer trägt die SV- und Prüfkosten? Gestattung so regeln, dass berechtigungsbedingt alle gemeinschaftsbezogenen Prüf- und Abnahmekosten der Ausbauberechtigte trägt.
Keine Detailregeln in der Gestattung? Dann Beschluss nach § 20 Abs. 1 WEG zum Wie fassen und daran binden.
Abnahme vergessen? Nachholen. Ohne Abnahme unklare Beweislast und offene Mängelrisiken.
Fazit für den Beirat
Gestattungen sind kein Freibrief. Sie sind ein Vertrag mit klaren Pflichten. Maßstab ist die fachgerechte ordnungsmäßige Wiederherstellung. Verwaltungen sollten Ausgangszustand sichern, das Wie per Beschluss präzisieren, Abnahmen staffeln, Sicherheiten verlangen und Mängel strikt verfolgen. So bleiben Risiko und Kosten dort, wo sie hingehören: beim Ausbauberechtigten – nicht bei der Gemeinschaft.
Autor: Harald Reiner, Hausverwaltung Reiner GmbH • Aktualisiert am: 31.10.2025


