Wohnungsnot 2025: Von der „grauen Wohnungsnot“ zur strukturellen Knappheit – was seit 2019 passiert ist und was jetzt hilft


Ausgangspunkt 2019: Warnung vor „grauer Wohnungsnot“

2019 stand die demografische Alterung im Fokus: mehr Menschen 65+, zu wenig barrierearme Wohnungen, hoher Investitions- und Förderbedarf. Die Kernfrage war, ob Deutschland schnell genug altersgerechten Wohnraum schafft – durch Neubau und Umbau im Bestand. Heute ist klar: Die Wohnungsnot betrifft nicht nur Seniorenhaushalte. Sie ist breiter, tiefer und regional ungleich verteilt.


Seit 2019: Was die Lage spürbar verschärft hat

  • Zinswende und Baukosten: Finanzierung verteuerte sich, Kalkulationen kippten, Projekte wurden gestoppt.
  • Fachkräftemangel: Engpässe bei Planung, Handwerk und Bauleitung verzögern Vorhaben und treiben Preise.
  • Stärkere Nachfrage: Binnenwanderung in Arbeits- und Hochschulräume, zusätzliche Zuwanderung, kleinere Haushalte.
  • Regulatorik im Wandel: WEG-Reform, Gebäudeenergie-Anforderungen, CO₂-Bepreisung und kommunale Wärmeplanung erhöhen Komplexität.
  • Genehmigungen/Fertigstellungen: Rückgänge belasten die Angebotsseite; Innenentwicklung wird noch wichtiger.

Demografie bleibt Treiber: Wohnen im Alter, aber bezahlbar und nah am Umfeld

Mehr Ein- und Zweipersonenhaushalte im höheren Alter, oft mit Wunsch nach Verbleib im Quartier. Das erfordert barrierearme Grundrisse, kurze Wege, haushaltsnahe Dienste. Neubau allein löst es nicht. Der Hebel liegt im Bestand: Badumbau, Schwellenabbau, Türverbreiterungen, Aufzüge/Nachrüstlösungen, sichere Erschließung, Beleuchtung, digitale Assistenz.

  • Kostenhebel: frühzeitige Maßnahmen sind günstiger als späte Komplettsanierungen; Bündelung in gewerksübergreifenden Paketen senkt Nebenkosten.
  • Quartier: Nahversorgung, ÖPNV, ambulante Dienste und Nachbarschaftsräume reduzieren Pflege- und Umzugskosten.

Neubau unter Druck: Innenentwicklung schlägt Außenfläche

Bauland ist knapp, Erschließung teuer, Normen vielfältig. Effizient sind Aufstockungen, Dachausbauten, Umnutzungen (Büro/Bestand) und serielles Bauen. Kommunale Instrumente wie Konzeptvergaben und Erbbaurechte helfen, wenn Prozesse klar und Fristen verlässlich sind.

  • Aufstockung/Dach: kurze Bauzeit, geringe Flächenversiegelung, zusätzliche Wohnungen ohne neue Infrastrukturachsen.
  • Umnutzung: Leerstehende Nichtwohnflächen zu Wohnzwecken, wenn Schall-, Brandschutz und Belichtung wirtschaftlich erreichbar sind.
  • Serielle Sanierung: Fertigelemente für Hülle/Haustechnik verkürzen Bauzeit und senken Risiken.

Bestand aktivieren: Altersgerecht umbauen statt warten

Altersgerechte Umbauten schaffen sofort nutzbaren Wohnraum, binden Mieter/Eigentümer, reduzieren Umzugsdruck und erhalten soziale Netze. Für Vermieter und WEGs sind sie kalkulierbare Investitionen mit stabilisierender Wirkung.

Checkliste Umbau im Bestand

  • Bad: schwellenlose Dusche, rutschhemmende Beläge, Haltegriffe, Stauraum in Greifhöhe.
  • Wege/Türen: Schwellenreduktion, Türbreiten, Bewegungsflächen, kontraststarke Orientierung.
  • Aufzug/Nachrüstsysteme: Plattform- oder Schrägaufzüge prüfen; bei Mehrfamilien: Kabinenvergrößerung, Haltestellenlogik.
  • Haustechnik: gute Beleuchtung, Sensorik, sichere Hauskommunikation; Rauchwarnmelder, Türöffner.
  • Quartiersdienste: Kooperation mit Pflegediensten, Nachbarschaftshilfe, Mobilitätsangebote.

WEG-Recht: Bauliche Veränderungen für Barrierefreiheit erleichtert

Seit der WEG-Reform sind bestimmte bauliche Veränderungen – etwa zum barrierearmen Zugang – privilegiert. Das erleichtert Beschlüsse, ersetzt aber nicht die saubere Planung zu Technik, Finanzierung und Betrieb. Gute Verwalter moderieren Interessenausgleich, strukturieren Vergaben, sichern Gewährleistung und dokumentieren ordnungsgemäß.

  • Beschlussinhalt: Maßnahme, Kostenrahmen, Vergabeweg, Finanzierung, Gewährleistung, Zuständigkeiten klar regeln.
  • Finanzierung: Rücklagen, Sonderumlagen, zinsgünstige Kredite; Fördermittel vor Beschluss prüfen.
  • Kommunikation: Variantenvergleich und Lebenszykluskosten senken Konflikte und Anfechtungsrisiken.

Förderlogik: Mehrstufig denken

Förderlandschaft ist dynamisch. Erfolgsprinzip: „Fördercheck → Beschluss → Vergabe“. Für barrierereduzierende Maßnahmen, Effizienz, erneuerbare Wärme und Quartierskonzepte existieren Programme von Bund, Land und Kommunen. Zeitfenster beachten; technische Mindestanforderungen sind entscheidend.

  • Bestand: Zuschüsse/Kredite für Badumbau, Aufzug, Hülle, Heizungstausch, PV.
  • Quartier: kommunale Wärmeplanung nutzen, ans Netz anbinden oder gemeinschaftliche Lösungen entwickeln.
  • Sozialkomponente: zielgenaue Förderung für niedrige Einkommen, seniorengerechtes Wohnen, Pflege-WGs.

Kosten und Wirtschaftlichkeit: ehrlich kalkulieren

Neubaukosten und Zinsen drücken. Im Bestand wirken kurze Bauzeiten, geringe Nebenkosten und direkte Nutzen für Nutzer. Für WEGs gilt: Ohne marktgerechte Grundvergütung und klar definierte Sondervergütungen lassen sich komplexe Projekte nicht seriös stemmen. Planung, Bauleitung, Gewährleistungsverfolgung und Dokumentation kosten Zeit und tragen Haftung.

  • Lebenszyklus: Investitionen gegen Betriebskosten, Instandhaltung und CO₂-Kosten bewerten.
  • Risiken: früh Statik, Brand-, Schall- und Wärmebrücken klären; Puffer einpreisen.
  • Vergabe: qualitäts- vor reiner Preisvergabe; Meilensteinzahlungen, Sicherheiten, Mängelmanagement.

Kommunen: Schlüsselrolle bei der Entschärfung der Wohnungsnot

  • Baurecht/Prozesse: Standardisierte Verfahren, verbindliche Fristen, qualifizierte Voranfragen, digitale Abwicklung.
  • Baulandmodelle: Quote ja, aber wirtschaftlich tragfähig; Konzeptvergaben statt Höchstpreis.
  • Activation first: Umnutzung, Aufstockung, Brachflächen, Bestandsreparatur.
  • Wärmeplanung: Investitionssicherheit für Bestände und Neubau durch klare Netzkarten und Übergangspfade.

Für Eigentümer, WEGs und Vermieter: konkrete Schritte in 90 Tagen

  1. Bestandsscreening: Barriere, Hülle, Haustechnik, Erschließung, Aufzug, Fluchtwege, Pflegezugänge.
  2. Quick Wins definieren: Badumbau, Schwellenabbau, Beleuchtung, Handläufe, Türanpassung.
  3. Heizung/Wärme: Vorlauf senken, Hydraulik, Pumpen; WP-/Fernwärme-Tauglichkeit prüfen.
  4. Fördercheck: Programme, Fristen, Anforderungen; Kombinationen abstimmen.
  5. Beschlussvorlage: Maßnahme, Finanzierung, Vergabe, Gewährleistung, Zeitplan.
  6. Kommunikation: Eigentümerinfo mit Variantenvergleich und Kosten-Nutzen.

FAQ zur Wohnungsnot 2025

  • Ist Neubau noch realistisch? Ja, aber selektiv. Innenentwicklung, serielle Verfahren und gesichertes Baurecht sind entscheidend.
  • Umbau oder Umzug? Umbau im Bestand hält Netzwerke und spart Folgekosten. Umzugsketten funktionieren nur mit Angebot.
  • Was hilft Senioren konkret? Bad und Wege zuerst, dann Erschließung. Ergänzend Dienste und digitale Assistenz.
  • Wie schnell wirken Maßnahmen? Quick Wins in Monaten, größere Eingriffe in 12–24 Monaten. Früh starten, Engpässe vermeiden.

Fazit: Wohnungsnot entschärfen heißt Bestände aktivieren, Umbauten priorisieren, Prozesse beschleunigen

Seit 2019 hat sich die Wohnungsnot von einer primär demografischen Herausforderung zu einer strukturellen Knappheit entwickelt. Der wirksamste Mix: Innenentwicklung, seniorengerechter Umbau, effiziente Technik, klare Förderlogik und verlässliche kommunale Prozesse. Wer heute Bestände systematisch ertüchtigt, schafft sofort nutzbaren Wohnraum, stabilisiert Mieten und erhält Quartiere – und mindert den Druck, der Neubau allein nicht lösen kann.


Autor: Harald Reiner, Hausverwaltung Reiner GmbH, Aktualisiert am: 27.10.2025