Grenzüberbauten durch WDVS: BGH verneint Duldung bei Neubau – was heute gilt
Kurzfassung
Der Bundesgerichtshof hat klargestellt: Ein Grundstückseigentümer muss einen Wärmedämmverbundsystem-Überbau (WDVS) auf sein Grundstück nicht dulden, wenn der Nachbar-Neubau nach EnEV-Zeit geplant wurde und die Dämmung von vornherein auf dem eigenen Grundstück hätte liegen müssen (BGH, 02.06.2017, V ZR 196/16). Die Berliner Duldungsnorm (§ 16a NachbG Bln) greift ihrem Sinn nach nur für Altbauten. Für WEGs bedeutet das: WDVS an Grenzwänden rechtlich und planerisch vorab klären; bei Altbauten kann eine Duldung in Betracht kommen, bei Neubauten grundsätzlich nicht.
Rechtlicher Rahmen
- Landesrecht Berlin: § 16a Nachbarrechtsgesetz Berlin erlaubt Duldung von Grenzüberbauten zur Wärmedämmung bei bereits bestehenden Gebäuden. Zweck: energetische Sanierung erleichtern, nicht Planungsfehler heilen.
- Bundesrecht Energie: EnEV ging 2020 im Gebäudeenergiegesetz (GEG) auf. Neubauten sind so zu planen, dass Dämmstärken auf dem eigenen Grundstück verbleiben.
- WEG-Bezug: Maßnahmen am Gemeinschaftseigentum richten sich nach dem WEG; „erstmalige plangerechte Herstellung“ vs. „modernisierende Instandsetzung“. Duldungsrechte gegen Nachbarn nimmt der Verband per Beschluss wahr.
Der Fall (Berlin)
Reihenendhaus an der Grenze; 2004/2005 wurde ein Mehrfamilienhaus angebaut. An einer vorspringenden Giebelwand brachte der Bauträger 2005 WDVS an, das ca. 7 mm in den Luftraum des Nachbargrundstücks ragte. Jahre später verlangte die WEG die Duldung von Putz/Anstrich auf diesem Überbau. Amtsgericht gab statt, Landgericht wies ab, der BGH bestätigte die Abweisung.
Die Entscheidung
- Altbau vs. Neubau: § 16a NachbG Bln ist teleologisch zu reduzieren. „Bereits bestehend“ meint Altbestand vor EnEV. Ziel: Sanierungen erleichtern, nicht Neubau-Planung ersetzen.
- Planungsverantwortung: Bauträger/Planer eines Neubaus müssen Dämmstärken so einplanen, dass kein Grenzüberbau entsteht. Versäumnisse begründen keinen Duldungsanspruch.
- Konsequenz: Der Nachbar durfte die Duldung verweigern; die Klage blieb erfolglos.
Was gilt seitdem?
- GEG statt EnEV: Materiell keine Abweichung. Neubau-Dämmung hat auf eigenem Grund zu bleiben. Ein „Recht auf WDVS-Überhang“ gibt es bei Neubau nicht.
- Altbestand: Bei Altbauten kann eine Duldung nach Landesrecht (z. B. § 16a NachbG Bln) möglich sein, wenn die Voraussetzungen vorliegen und fachgerecht ausgeführt wird.
- WEG-Reform 2020: Zuständig bleibt der Verband. Duldungsrechte werden per Mehrheitsbeschluss geltend gemacht; die Nachbarrechtslage bleibt landesrechtlich.
Praxisfolgen für Eigentümer, Verwalter, Planer
- Neubau/Anbau an die Grenze: Dämmstärken, Fassadenaufbau, Tropfkanten, Sockelanschlüsse in die Entwurfsplanung integrieren. Alternativen prüfen: Innendämmung, schlanke Systeme, monolithische Wände, vorgesetzte Schalen innerhalb der Grenze.
- Bestand an der Grenze: Vor WDVS klären, ob Altbau-Duldung greift, ob konstruktiv ohne Überbau gedämmt werden kann und ob eine vertragliche Gestattung erforderlich ist.
- WEG-Beschlüsse: Bei plangerechter Ersterstellung genügt Mehrheitsbeschluss. Bei Instandsetzung/Modernisierung Beschlusslage, Kostenverteilung, Nachbarrechte sauber vorbereiten.
- Nachbarschaft: Früh abstimmen. Gestattungsverträge mit dinglicher Sicherung (Grunddienstbarkeit) nutzen, wenn keine gesetzliche Duldung besteht.
Checkliste WDVS an Grenzwänden
- Status klären: Altbau/Bestand vs. Neubau/Anbau.
- Landesnorm prüfen: Duldungsvoraussetzungen, Zumutbarkeit, fachgerechte Ausführung.
- Grenze vermessen: Verlauf, Baulast/Dienstbarkeit, Toleranzen.
- Planung: Dämmstärke, Schichtaufbau, Brandriegel, Tropfkante, Sockel.
- WEG-Beschluss: Maßnahme, Kosten, Beauftragung, Nachbarbeteiligung.
- Vertrag: Gestattung, Haftung, Unterhalt, Rückbau, Sicherung.
- Ausführung: Fachunternehmer, DIN-Details, Dokumentation, Abnahme.
FAQ Grenzüberbauten
- Darf ich bei Neubau über die Grenze dämmen? Nein. Die Dämmung ist so zu planen, dass sie auf dem eigenen Grundstück bleibt.
- Gilt die Duldung für jeden Altbau? Nein. Sie hängt von der Landesnorm und den Einzelfall-Voraussetzungen ab.
- Wer klagt im WEG-Fall? Der Verband. Duldungsrechte werden per Mehrheitsbeschluss verfolgt.
- Reicht jahrelange Duldung als „Gewohnheitsrecht“? Nein. Erforderlich sind gesetzliche Duldung oder gesicherte Rechte (z. B. Grunddienstbarkeit).
- WDVS ist schon dran – was nun? Je nach Landesrecht: Einigung/Gestattung, Anpassung oder Rückbau prüfen.
Rechtsgrundlagen (Auswahl)
Hinweis für Beiräte und Verwalter
Bei Grenzdetails früh Vermessung und Planprüfung einholen, Beschlussvorlagen mit Varianten und Kostenfolgen vorbereiten, Nachbarn strukturiert beteiligen und die gewählte Lösung technisch wie rechtlich dokumentieren. So lassen sich spätere Streitigkeiten über Grenzüberbauten vermeiden.
Aktualisiert am: 13.10.2025
Autor: Harald Reiner, Hausverwaltung Reiner GmbH




