Stimmrechtsverbot in der Eigentümerversammlung: BGH-Linie, Ausnahmen und sichere Umsetzung in der Praxis
Aktualisiert am: 24.10.2025
Kernaussage
Ein Stimmrechtsverbot greift zwingend, wenn die Beschlussfassung ein Rechtsgeschäft mit dem betroffenen Eigentümer oder einen Rechtsstreit gegen ihn betrifft oder wenn rechtskräftig die Entziehung seines Wohnungseigentums ausgesprochen wurde. In besonderen Konstellationen schwerer Interessenkollisionen kann das Stimmrechtsverbot über den Gesetzeswortlaut hinaus entsprechend angewendet werden. Genau das hat der Bundesgerichtshof (Urteil vom 13.01.2017) für Verträge mit eng verflochtenen Gesellschaften entschieden.
Rechtsgrundlage und Grundprinzip
- Gesetzlich normiertes Stimmrechtsverbot bei Rechtsgeschäften mit dem Eigentümer, bei Rechtsstreitigkeiten gegen ihn sowie nach rechtskräftiger Entziehungsentscheidung.
- Enge Auslegung, weil das Stimmrecht zum Kernbereich der Mitgliedschaftsrechte gehört.
- Dennoch analoge Anwendung bei schwerwiegendem Interessenkonflikt, wenn eine unbefangene Abwägung objektiv nicht mehr möglich ist.
Der Fall (BGH, 13.01.2017)
Die Gemeinschaft beschloss den Abschluss eines Wärmelieferungsvertrags mit einer GmbH & Co. KG. Ein Mehrheitseigentümer war Kommanditist der KG, zugleich Geschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter der Komplementär-GmbH; die restlichen Anteile hielt seine Ehefrau. Der Beschluss kam mit seinen Stimmen zustande. Andere Eigentümer klagten und machten ein Stimmrechtsverbot geltend.
Die Entscheidung
- Der BGH verneinte eine „formale Umgehung“: Auch wenn der Vertragspartner nicht der Eigentümer selbst, sondern eine von ihm beherrschte Gesellschaft ist, kann ein Stimmrechtsverbot analog greifen.
- Maßgeblich ist die beherrschende Einflussmöglichkeit und die daraus folgende gleichgelagerte wirtschaftliche Interessenlage des Eigentümers.
- Bei derart gesteigerter Interessenkollision ist eine unvoreingenommene Wahrnehmung des Gemeinschaftsinteresses nicht mehr realistisch. Folge: Ausschluss von der Abstimmung.
Seit 2020: Was gilt unter dem reformierten WEG weiter?
- Die gesetzliche Konzeption des Stimmrechtsverbots besteht fort.
- Die Leitlinien des BGH zur analogen Anwendung bei beherrschtem Vertragspartner bleiben für Praxisfälle mit gesellschaftsrechtlicher Verflechtung tragfähig.
- Verwalter und Versammlungsleiter müssen das Stimmrecht vor der Stimmabgabe prüfen und betroffene Stimmen ggf. nicht zur Abstimmung zulassen.
Wann droht eine analoge Anwendung?
- Vertrag mit einer Gesellschaft, die der Eigentümer beherrscht (Mehrheitsbeteiligung, Geschäftsführung, Stimmbindungen).
- Enge familiäre Verflechtungen plus faktische Kontrolle.
- Exklusive Eigennutzungsvorteile zulasten der Gemeinschaft (z. B. außergewöhnliche Vergütungen, lange Bindungsfristen, fehlender Preiswettbewerb).
Nicht ausreichend allein: bloße Minderheitsbeteiligung ohne Einfluss, übliche Geschäftsbeziehung ohne Sonderkonditionen, rein abstrakte Interessenlage.
Abgrenzung: Stimmrechtsverbot vs. Stimmrechtsmissbrauch
- Stimmrechtsverbot: vorab keine Stimmabgabe zulassen; es kommt nicht auf eine materielle Nachprüfung des Votums an.
- Stimmrechtsmissbrauch: Stimmen werden abgegeben; Versammlungsleiter oder Gericht kann sie nachträglich wegen Rechtsmissbrauchs unberücksichtigt lassen.
Checkliste für Verwalter und Beirat
- 1. Tagesordnung prüfen: Geht es um ein Rechtsgeschäft oder eine streitige Maßnahme mit/gegen einzelne Eigentümer oder deren Gesellschaften?
- 2. Verflechtungen abfragen: Offenlegung relevanter Beteiligungen/Funktionen vor Beschlussfassung einfordern.
- 3. Beherrschung bewerten: Mehrheit, Geschäftsführung, Stimmbindungen, faktische Kontrolle.
- 4. Entscheidung treffen: Liegt ein Fall des gesetzlichen oder analogen Stimmrechtsverbots vor, betroffene Person von der Abstimmung ausschließen; im Protokoll sauber begründen.
- 5. Wettbewerb sicherstellen: Vor Vertragsbeschlüssen Vergleichsangebote und Marktüblichkeit dokumentieren.
Musterformulierung für das Protokoll
„Der Versammlungsleiter stellt fest, dass TOP X ein Rechtsgeschäft mit der Y GmbH & Co. KG betrifft. Herr/Frau Z ist an der Y über die Komplementär-GmbH mehrheitlich beteiligt und deren Geschäftsführer/in. Aufgrund der beherrschenden Einflussmöglichkeit liegt eine schwerwiegende Interessenkollision vor. Das Stimmrechtsverbot wird analog angewendet. Herr/Frau Z ist zu TOP X nicht stimmberechtigt.“
Typische Praxisfälle
- Wärme-/Stromlieferung durch Gesellschaft des Eigentümers.
- Facility-/Hausmeisterdienst durch eigene oder beherrschte Firma.
- Vergabe von Planungs-/Gutachteraufträgen an eigenbeherrschte Büros.
- Miet-/Nutzungsverträge über Gemeinschaftsflächen mit nahestehenden Unternehmen.
Häufige Fehlerquellen
- Kein Protokollvermerk zur Prüfung und Entscheidung über das Stimmrechtsverbot.
- Ausschluss trotz fehlender Beherrschung oder ohne Begründung.
- „Salamitaktik“: Aufteilung eines Gesamtvertrags in Teilbeschlüsse, um das Verbot zu umgehen.
- Verzicht auf Markterkundung und Preisvergleich vor Abschluss.
Praxis-FAQ
- Muss der Eigentümer den Saal verlassen? Nein. Das Stimmrechtsverbot betrifft die Stimmabgabe, nicht die Anwesenheit oder das Rederecht.
- Gilt das Verbot auch bei Beschlüssen über Abberufung/Abwahl? Es betrifft Rechtsgeschäfte/Prozesse mit/gegen den Eigentümer. Für Personal- oder Amtsfragen ist gesondert zu prüfen, ob gesetzliche Verbote oder Missbrauchskontrollen greifen.
- Reicht eine Enthaltung? Nein. Der Versammlungsleiter hat das Stimmrecht nicht zuzulassen, wenn ein Verbot greift.
- Was, wenn das Verbot übersehen wurde? Der Beschluss ist anfechtbar; Gerichte rechnen die verbotenen Stimmen heraus und entscheiden über die Wirksamkeit.
Empfehlungen zur sicheren Umsetzung
- Vorlagenblatt „Interessenkonflikt/Verflechtung“ mit den Einladungen versenden und zur Versammlung aktualisieren.
- Vergaberegel: mindestens zwei bis drei Vergleichsangebote, dokumentierter Preis-/Leistungscheck.
- Bei Zweifeln vorab rechtliche Kurzprüfung einholen; in der Versammlung knapp begründen.
- Protokollierung präzise: Sachverhalt, rechtliche Einordnung, Entscheidung, betroffene Stimmenzahl.
Fazit
Das Stimmrechtsverbot schützt die Gemeinschaft vor verzerrten Entscheidungen in Eigennutz-Konstellationen. Gesetzliche Fälle sind strikt umzusetzen. In beherrschten Gesellschaftskonstellationen greift es analog, wenn der Interessenkonflikt so gravierend ist, dass eine unvoreingenommene Abwägung real nicht zu erwarten ist. Für Verwalter bedeutet das: Verflechtungen vorab ermitteln, Entscheidung dokumentieren, Wettbewerb sicherstellen. So bleiben Beschlüsse belastbar und anfechtungssicher.
Autor: Harald Reiner, Hausverwaltung Reiner GmbH




