Hinweisbeschluss des BGH zur Störungsabwehr und anschließendes Urteil (V ZR 106/21)
Einleitung
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) befasste sich in einem Altverfahren zur Störungsabwehr mit der Frage, wer Prozessführungsbefugnis und Aktivlegitimation für Unterlassungsansprüche hat. Zunächst erging am 04.11.2021 ein Hinweisbeschluss, am 28.01.2022 folgte das Urteil (V ZR 106/21). Zielkonflikt: Einzeleigentümer will Störungen unterbinden, nach dem WEMoG ist aber grundsätzlich die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE) zuständig.
Der Fall in Kürze
Eine Wohnungseigentümerin klagte gegen die Mieterin eines Sondereigentums auf Unterlassung störenden Verhaltens. Bereits 2008 hatte die GdWE das Verhalten vorläufig geduldet. Im Berufungsverfahren verwies der Verwalter mit Schreiben vom 17.05.2021 auf diesen Altbeschluss. Streitentscheidend war, ob die Klägerin im Übergang vom alten Recht zum WEMoG die Prozessführungsbefugnis behalten hat oder ob ausschließlich die GdWE klagebefugt ist.
Die Hinweise des BGH vom 04.11.2021
Im Hinweisbeschluss (V ZR 106/21) stellte der BGH klar: In Altverfahren bleibt die Prozessführungsbefugnis des Einzeleigentümers für Störungsabwehransprüche bestehen, bis dem Gericht eine eindeutige schriftliche Erklärung des nach § 9b WEG vertretungsberechtigten Organs (Verwalter) über einen entgegenstehenden Gemeinschaftswillen vorliegt. Ein bloßer Hinweis auf einen früheren Duldungsbeschluss genügt nicht.
Das Leitbild aus V ZR 299/19 (07.05.2021)
Bereits mit V ZR 299/19 hatte der BGH die Übergangslogik vorgezeichnet: Altklagen enden nicht automatisch mit Inkrafttreten des WEMoG. Ohne klare gegenteilige Erklärung des vertretungsberechtigten Organs bleibt die bis dahin bestehende Prozessführungsbefugnis des Einzeleigentümers bestehen.
Das Urteil vom 28.01.2022 (V ZR 106/21)
Im Urteil betont der BGH die Systematik nach neuem Recht: Beeinträchtigungen, die ihren Ursprung im Bereich des gemeinschaftlichen Eigentums haben, betreffen die GdWE. Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche sind insoweit von der GdWE geltend zu machen; der einzelne Eigentümer hat nach neuem Recht keine Abwehrbefugnis gegen Störungen des Gemeinschaftseigentums. Ein Beschluss der Gemeinschaft, behördlich untersagte oder bauordnungswidrige Zustände zu dulden, ist nichtig.
Rechtslage seit WEMoG: Zuständigkeit der GdWE
§ 9a Abs. 2 WEG ordnet die einheitliche Störungsabwehr durch die GdWE an. Die Prozessführungsbefugnis betrifft die Zulässigkeit der Klage (wer darf im eigenen Namen klagen), die Aktivlegitimation die materielle Anspruchsinhaberschaft. Bei Störungen des Gemeinschaftseigentums ist die GdWE sowohl prozessführungsbefugt als auch aktivlegitimiert. In Altverfahren bleibt es abweichend dabei, bis eine klare gegenteilige Verwaltererklärung nach § 9b WEG beim Gericht eingeht.
Praxisfolgen für Eigentümer, Beirat und Verwaltung
Altverfahren prüfen: Läuft die Klage eines Einzeleigentümers noch, entscheidet eine klare schriftliche Erklärung des Verwalters über Fortführung oder Beendigung. Ein bloßer Verweis auf Altbeschlüsse reicht nicht.
Neuverfahren steuern: Störungen mit Bezug zum Gemeinschaftseigentum stets durch die GdWE verfolgen. Erforderlich sind Beschlussfassung und konsequente Prozessführung im Namen der GdWE.
Beirat/ETV: Verweigert der Verwalter pflichtwidrig die Einberufung, kann der Vorsitzende des Verwaltungsbeirats, sein Vertreter oder ein durch Beschluss ermächtigter Eigentümer die Versammlung einberufen (§ 24 Abs. 3 WEG).
Nichtigkeit im Blick: Beschlüsse, die behördlich untersagte oder bauordnungswidrige Zustände „dulden“, sind riskant und können nichtig sein.
Fazit
Seit WEMoG liegt die Störungsabwehr regelmäßig bei der GdWE. In Altverfahren bleibt die Klage des Einzeleigentümers zulässig, bis eine eindeutige gegenteilige Erklärung des Verwalters beim Gericht vorliegt. Für die Praxis gilt: Zuständigkeiten sauber klären, ETV-Beschlüsse herbeiführen, Verwaltererklärungen präzise formulieren und dokumentieren.
Aktualisiert: 13.10.2025 – Harald Reiner




