Teileigentum, zweiter Rettungsweg und Kostentragung: Was seit 2017 gilt und was WEGs heute beachten müssen
Kurzüberblick: Der Bundesgerichtshof hat 2017 klargestellt: Muss ein zweiter Rettungsweg geschaffen werden, um eine Teileigentumseinheit (z. B. Büro, Praxis) plangerecht und bauordnungsrechtlich nutzbar zu machen, handelt es sich in der Regel nicht um eine „bauliche Veränderung“, sondern um die erstmalige plangerechte Herstellung am Gemeinschaftseigentum. Das ist ordnungsmäßige Verwaltung. Seit der WEMoG-Reform (01.12.2020) wird dieser Grundsatz unter den neuen §§ des WEG fortgeführt. Die Kosten liegen grundsätzlich bei der Gemeinschaft; Abweichungen erfordern eine tragfähige Rechtsgrundlage (Teilungserklärung oder Beschluss nach den neuen Kostennormen).
Ausgangsfall 2017: Teileigentum braucht den zweiten Rettungsweg
In einem Berliner Wohn- und Geschäftshaus verlangten Teileigentümer die Herstellung eines zweiten Rettungswegs (Außentreppe). Hintergrund: Die Einheiten sollten als Aufenthaltsräume genutzt werden; bauordnungsrechtlich setzt das zwei unabhängige Rettungswege voraus. Der BGH ordnete die Maßnahme als erstmalige plangerechte Herstellung des gemeinschaftlichen Eigentums ein. Folge: Zuständigkeit und Finanzierung lagen bei der Wohnungseigentümergemeinschaft (heute: GdWE). Der einzelne Teileigentümer trägt lediglich die im Sondereigentum erforderlichen Anpassungen (innenliegende Vorgaben), nicht aber die am Gemeinschaftseigentum nötige Rettungsweg-Erschließung.
„Teileigentum“: Zweck und Bandbreite der zulässigen Nutzung
Die Bezeichnung Teileigentum eröffnet jede nicht wohnliche Nutzung, sofern die Gemeinschaftsordnung nichts anderes bestimmt. Typische Nutzungen wie Büro, Praxis oder Atelier sind demnach zulässig. Daraus folgt regelmäßig der Anspruch, dass die für solche Nutzungen bauordnungsrechtlich geforderten Mindeststandards (z. B. zweiter Rettungsweg, Brandschutz) am Gemeinschaftseigentum erfüllt werden. Dieser Anspruch richtet sich auf die Herstellung eines plangerechten, genehmigungsfähigen Zustands – nicht auf individuelle Ausstattungswünsche.
Seit WEMoG 2020: Neue Paragrafen, alter Kern
- Ordnungsmäßige Verwaltung: Heute verortet in § 18 Abs. 2 und § 19 WEG. Hierunter fällt die erstmalige plangerechte Herstellung am Gemeinschaftseigentum, wenn sie erforderlich ist, damit Sondereigentum/Teileigentum den vereinbarten Zweck rechtmäßig erfüllen kann.
- Bauliche Veränderungen: § 20 WEG. Diese Norm greift typischerweise nicht, wenn es um die erstmalige Herstellung des geschuldeten Ausgangszustands geht. Bei echten Veränderungen (Komfort, Gestaltung) gilt dagegen § 20 mit seiner besonderen Kostenlogik.
- Kosten: § 16 WEG. Erhaltungs-/Herstellungsmaßnahmen trägt grundsätzlich die Gemeinschaft nach dem vereinbarten oder gesetzlichen Schlüssel. Eine abweichende, sachgerechte Verteilung kann per Beschluss möglich sein, erfordert aber eine klare Begründung (Angemessenheit, Vorteilsnähe, Gleichbehandlung).
Praxisleitfaden für Verwaltungsbeirat und Verwalter
- TE/GO checken: Zweckbestimmung der Einheiten („Teileigentum“) und eventuelle Sonderregelungen zu Nutzung und Kosten. Ohne eindeutige Abweichung gilt die gesetzliche Grundordnung.
- Bauordnungsrecht klären: Liegt ein genehmigungsfähiger Zustand vor? Braucht die Nutzung einen zweiten Rettungsweg? Brandschutzkonzept und Fachplaner beiziehen.
- Einordnung der Maßnahme: Handelt es sich um erstmalige plangerechte Herstellung (→ ordnungsmäßige Verwaltung) oder um eine echte bauliche Veränderung (→ § 20 WEG)? Dokumentation in der Beschlussvorlage.
- Kostenlogik festlegen: Bei Herstellung/Erhaltung: Gemeinschaft trägt nach § 16 WEG. Nur bei tragfähiger Begründung Beschluss zu abweichender Verteilung erwägen.
- Beschlussarchitektur: Sauber getrennte Beschlusspunkte für (a) technische Lösung, (b) Budget/Finanzierung, (c) Bevollmächtigung Verwalter, (d) Kostenverteilung (falls abweichend), (e) Beauftragung Fachplaner/Bauleitung.
- Sondereigentum: Innenliegende Anpassungen (z. B. Tür-, Raum-, Installationsanforderungen) sind Sache des jeweiligen Sondereigentümers/Teileigentümers, sofern TE/GO nichts anderes vorsieht.
Kostenbeispiele und typische Fehlannahmen
- „Der Nutzer zahlt alles“: Falsch bei erstmaliger plangerechter Herstellung am Gemeinschaftseigentum. Richtig ist die Grundzuständigkeit der Gemeinschaft. Abweichungen nur auf tragfähiger Rechtsbasis.
- „Rettungsweg = Komfort“: Ein zweiter Rettungsweg ist bauordnungsrechtliche Mindestvoraussetzung für Aufenthaltsräume. Er ist kein „Komfort“, sondern Bestandteil des geschuldeten Ausgangszustands.
- „Teileigentum = Keller“: Die Bezeichnung „Teileigentum“ schließt Aufenthaltsnutzungen nicht aus. Maßgeblich ist der vereinbarte Zweck und die objektive Eignung. Bei zulässiger gewerblicher Nutzung müssen die bauordnungsrechtlichen Anforderungen erreichbar sein.
Beschluss- und Dokumentationsmuster (Auszug)
- Technischer Grundsatzbeschluss: „Die GdWE beschließt die Herstellung eines zweiten Rettungswegs für die Teileigentumseinheiten K 1–K 3 durch Außentreppe gemäß Brandschutzkonzept [Plan/Datum].“
- Finanzierung: „Die Kosten werden als Maßnahme ordnungsmäßiger Verwaltung gemäß § 19 WEG behandelt und nach § 16 WEG verteilt. Der Verwalter wird zur Ausschreibung und Auftragserteilung bis [Budget] bevollmächtigt.“
- Abweichende Kostenverteilung (optional): Nur mit nachvollziehbarer Vorteils-/Verursachungsbegründung und eindeutiger Rechtsgrundlage; rechtlich sorgfältig prüfen lassen.
FAQ
Muss die Gemeinschaft immer den zweiten Rettungsweg bauen?
Wenn er zur plangerechten, bauordnungsrechtlich zulässigen Nutzung einer Teileigentumseinheit erforderlich ist und am Gemeinschaftseigentum herzustellen ist: grundsätzlich ja. Innenliegende Vorgaben im Sondereigentum trägt der jeweilige Eigentümer.
Gilt das auch nach der WEMoG-Reform?
Ja. Die Einordnung als ordnungsmäßige Verwaltung (Erstherstellung/Erhaltung) ist keine Besonderheit des alten Rechts. Die neuen §§ strukturieren lediglich um; die Kernaussagen bleiben.
Können einzelne Eigentümer die Maßnahme blockieren?
Bei ordnungsmäßiger Verwaltung besteht ein Anspruch auf Beschlussfassung. Unterbleibt diese, kommen Beschlussersetzung und gerichtliche Geltendmachung in Betracht.
Was, wenn die TE eine besondere Nutzung beschränkt?
Dann geht die Vereinbarung vor. Ob die gewünschte Nutzung zulässig ist und welche Maßnahmen/ Kostenverteilungen gelten, ergibt sich aus TE/GO. Im Zweifel: Vereinbarungsänderung oder gerichtliche Klärung.
Konsequenzen für Verwaltung und Beirat
- Frühzeitig prüfen: Zweckbestimmung, Genehmigungslage, Brandschutz. Unklare TE/GO? Juristische Prüfung einholen.
- Transparente Kommunikation: Technische Notwendigkeit, Rechtsgrundlage und Kostenlogik klar erläutern, um Anfechtungen zu vermeiden.
- Saubere Vergabe: Fachplanung, Ausschreibung, Bauleitung, Abnahme, Gewährleistung; alles dokumentieren.
- Kostenfairness: Nur dort von der Standardverteilung abweichen, wo dies rechtlich tragfähig begründet werden kann.
Autor: Harald Reiner, Hausverwaltung Reiner GmbH
Ursprünglicher Artikel: September 2017
Aktualisiert am: 28.10.2025




