WEG-Verwalter als Community-Manager: Warum Bürozeiten, Sondervergütungen und ehrliche Stundensätze die Qualität sichern
Ausgangslage: Höhere Erwartungen, engerer Markt, klare Grenzen
Die Verwaltung von Wohnungseigentümergemeinschaften hat sich in den letzten Jahren grundlegend verändert. Die Aufgabenbreite reicht heute von klassischer Buchhaltung und Instandhaltungssteuerung über Energie- und Fördermanagement bis hin zu Datenschutz, IT-Sicherheit und digitaler Kommunikation. Gleichzeitig verschärfen Fachkräftemangel, steigende Lohn- und Sachkosten, neue Rechtsrahmen und ein anspruchsvoller werdender Gebäudebetrieb den Ressourcenbedarf. Wer Qualität will, braucht planbare Kapazitäten, professionelle Prozesse und eine Vergütungsstruktur, die die Realität abbildet.
Arbeitszeitgesetz und Fachkräftemangel: Warum Eigentümerversammlungen zu Bürozeiten stattfinden
- Gesetzliche Leitplanken: Höchstarbeitszeiten, Mindestruhezeiten und Sonn-/Feiertagsruhe setzen klare Grenzen. Dauerhafte Abend- und Spättermine sind mit Personal- und Haftungsrisiken belegt.
- Personalbindung: Attraktive, familienkompatible Arbeitszeiten sind Kern gegen den Fachkräftemangel. Wer Fachkräfte hält, sichert Kontinuität in der Betreuung.
- Praxisfolge: Eigentümerversammlungen überwiegend werktags zwischen 9–17 Uhr. Wo gewünscht, können hybride Formate per Beschluss ergänzt werden. Notfälle bleiben ausgenommen.
Fazit: Professionelle Verwaltung braucht planbare Fenster und eingespielte Teams statt Ad-hoc-Einsätze am späten Abend.
24/7-Wunsch vs. Realität: Havarie-Notruf ja, Dauerverfügbarkeit nein
- Unvereinbarkeit: Eine permanent erreichbare Verwaltung widerspricht Arbeitszeitrecht, erschwert Dienstplanung und erhöht Fehler- sowie Haftungsrisiken.
- Kostenexplosion: 24/7-Bereitschaft vervielfacht die Personalkosten. Das verteuert die Grundgebühren aller, auch derjenigen, die es nicht nutzen.
- Akzeptierte Lösung: Ein Havarie-Kanal für echte Schäden (Wasser, Heizungsausfall, Gefahr im Verzug). Komfortthemen laufen im geregelten Servicefenster.
Deutliche Ansage: Die Erwartung „immer sofort“ ist betriebswirtschaftlich und rechtlich nicht darstellbar. Qualität entsteht aus Ruhe, Struktur und Priorisierung.
Kostenwahrheit: Interne Verrechnung vs. abrechenbare Stundensätze
Die oft zitierten „50 € je Stunde“ decken die realen Vollkosten nicht. Eine produktive Verwaltungsstunde trägt:
- Löhne und Lohnnebenkosten inkl. Urlaubs-, Fortbildungs-, Krankheitszeiten
- Qualifikation (Schulungen, Zertifizierungen, Fachliteratur)
- IT-Stack (Fachanwendungen, DMS, E-Rechnung, Signatur, Portale)
- Infrastruktur (Mieten, Energie, Hardware, Backups, Cyber-Security)
- Versicherungen (Vermögensschaden-Haftpflicht, Cyber, Rechtsschutz)
- Overhead (QS, Prozessmanagement, Compliance, Controlling)
Ergebnis: Unter 80–120 € netto pro abrechenbarer Stunde (brutto ca. 95,20–142,80 €) ist nachhaltige Qualität kaum möglich. Alles darunter verlagert Kosten in die Zukunft: Fluktuation, Fehler, Verzögerungen.
Grundhonorar und Kleinst-WEGs: Warum 80 € pro Einheit/Monat realistisch sind
Fixe Objektkosten fallen unabhängig von der Größe an. In Gemeinschaften unter 10 Einheiten ist die Kostenbasis pro Einheit zwangsläufig höher. Realistische Grundgebühren von etwa 80 € pro Einheit/Monat sichern Mindestleistungen: Buchhaltung, Zahlungsverkehr, Mahnwesen, Wirtschaftsplan, Jahresabrechnung, reguläre Eigentümerversammlung, Beschlusssammlung, gesetzliche Standardpflichten, Grundkommunikation und Basis-IT.
Transparenz schafft Akzeptanz: Wer die Fixkosten kennt, versteht, warum „klein“ nicht „billig“ bedeutet.
Sondervergütungen sind kein Luxus, sondern betriebsnotwendig
Ein vermeintlich bequemes „Basis/Premium“-Modell scheitert in WEGs oft an Gleichbehandlung, Mehrheitsbeschlüssen und Verbandslogik. Die Verwaltung muss ordnungsmäßige Verwaltung für alle leisten. Sondervergütungen sind daher unternehmerisch notwendig, damit außergewöhnliche Mehrleistungen kalkulierbar bleiben und das dafür erforderliche Know-how und die zusätzliche Arbeitszeit bezahlt werden.
Typische Auslöser für Sondervergütung
- Außerordentliche Versammlungen, gerichtliche Auflagen, umfangreiche Umsetzungspakete
- Großmaßnahmen (Fassade/Dach/Strang), Brandschutz, Projektsteuerung, Abnahmen, Gewährleistungen
- Förder- und Energieprojekte (KfW/BAFA, PV, Ladeinfrastruktur), Verwendungsnachweise, Messkonzepte
- Komplexe Versicherungsfälle und Regresse, Beschlussanfechtungen, Verwalterzustimmungen, Eigentümerwechsel
- Havarien, Datenpannen, besondere Compliance-Prüfungen
Vorteil für die Gemeinschaft: Zusätzlicher Aufwand ist planbar und verteilbar, statt unsichtbar im Grundhonorar zu versickern.
Was die Verwaltung zusätzlich anspruchsvoll macht
- Digitalpflichten: fernauslesbare Messausstattung, unterjährige Informationspflichten, E-Rechnung, qualifizierte Signaturen, revisionssichere Archive
- Haftung & Versicherung: höhere Anforderungen an Dokumentation, Fristen- und Gewährleistungsmanagement
- Energie & Technik: Ladeinfrastruktur, PV/Kopplung, Heizungsumstellungen, Wärmeplanung, CO₂-Kostenverteilung
- Reformfolgen: zertifizierter Verwalter, hybride Teilnahme, komplexere Vergabeverfahren und Compliance
- Arbeitsmarkt: Wettbewerb um qualifizierte Kräfte, steigende Gehälter, strukturierte Weiterbildung
- IT-Sicherheit: Verschlüsselung, Backups, Incident-Response, Cyber-Police
Diese Faktoren erhöhen den Zeitbedarf pro Vorgang und machen saubere Prozesse zum Qualitätskriterium.
Erwartungsmanagement: Spielregeln, die funktionieren
- Servicefenster klar benennen.
- Ticket-System & SLA: Priorisierung nach Sachlage, nicht nach Lautstärke. Nachvollziehbare Laufzeiten.
- Dokumentenbereitstellung vor Beschlüssen: Angebote, Kostenrahmen, Finanzierung, Zeitachsen. Versammlungen dienen Entscheidungen, nicht Erstgesprächen.
- Kommunikationsdisziplin: Anliegen bündeln, Vertreterrolle des Beirats stärken, Mehrheiten respektieren.
So entstehen kurze Wege, weniger Reibung und tragfähige Beschlüsse.
Leistungsabgrenzung: Regelbetrieb vs. Zusatzprojekt
Regelbetrieb deckt die standardisierten, wiederkehrenden Pflichten ab. Zusatzprojekte beginnen dort, wo externer Dritteinfluss, besondere Haftung, hoher Planungs-/Koordinationsaufwand oder erhebliche Einmalaufwände entstehen. Diese werden über definierte Stundensätze oder projektbezogene Pauschalen vergütet.
Das ist fair, leistungsbezogen und verhindert Quersubventionen zu Lasten der stillen Mehrheit.
Eigentümerversammlung neu gedacht
- Terminierung zu Bürozeiten, bei Bedarf hybride Zuschaltung per Beschluss, entsprechendes gilt auch für Online-Versammlungen
- Vorbereitung mit Entscheidungsunterlagen: Vergleichsangebote, Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen, Finanzierungsvorschläge
- Durchführung fokussiert: Beschlüsse mit klarer Aufgaben-, Budget- und Fristenlogik
- Nachverfolgung transparent im Eigentümer-Portal
Ergebnis: Weniger Schleifen, mehr Umsetzung, kontrollierbare Zeitfenster.
Fachkräfte halten: Was eine moderne Verwaltung intern leisten muss
- Planbare Arbeitszeiten statt Dauer-After-Hours
- Weiterbildung und Zertifizierungen als Standard
- Digitale Tools mit klaren Prozessen, damit Kapazität auf Fachthemen statt auf Such- und Wartezeiten geht
- Karrierepfade und Teamrollen, die Spezialisierung ermöglichen
Nur so bleiben Know-how und Ansprechpartner langfristig erhalten.
Konfliktarme Zusammenarbeit: Drei Hebel
- Leistungskatalog & Preisarchitektur beschließen und jährlich fortschreiben
- Vergaben dokumentieren: Kriterien, Wertung, Vergabeentscheidung, Gewährleistungsmanagement
- Hausordnung & Mediation: klare Regeln, konsequente Durchsetzung, vermittelnde Beiratsrolle
Transparenz reduziert Gerüchte, spart Zeit und schützt Entscheidungen.
Rechenbeispiele: Was „billig“ später kostet
Beispiel 1: Kleinst-WEG mit 8 Einheiten
- Grundhonorar 8 × 80 € = 640 €/Monat (netto) für Standardleistungen
- Sonderfälle (z. B. außerordentliche ETV, Förderantrag, großer Versicherungsfall) nach Aufwand 80–120 € netto/h oder als Pauschale
Ohne Sondervergütung: Entweder werden Leistungen abgelehnt oder die Qualität leidet unsichtbar. Mit Sondervergütung: Planungssicherheit für die WEG, faire Vergütung für Zusatzaufwand, bessere Ergebnisse.
Beispiel 2: Große Maßnahme (Fassade)
- Projektsteuerung, Vergabe, Bauüberwachung, Abnahmen, Gewährleistungsverfolgung
- Saubere Projektvergütung spart im Schnitt ein Vielfaches an Nachträgen, Verzögerungen und Streitkosten
Erfahrung: Professionelle Projektsteuerung „verdient“ sich oft selbst.
Unbequeme, aber nötige Klarstellungen
- 24/7-Erreichbarkeit ist kein Qualitätsmerkmal, sondern ein Kostentreiber mit Rechtsrisiko.
- „Sofort für alles“ blockiert Sacharbeit und verzögert Projekte für alle.
- „Gleiche Leistung für weniger Geld“ endet regelmäßig in Qualitätsverlust, Personalwechseln und Mehrkosten durch Fehlerkorrekturen.
Professionalisierung heißt, diese Punkte offen zu benennen und konsequent zu leben.
Was Eigentümer konkret tun können
- Beschlussreife herstellen: Unterlagen lesen, Fragen bündeln, Beirat einbinden
- Priorisieren: Dringendes vor Wichtigem, Komfortthemen im Hintergrund klären
- Rückhalt geben: Vergabe- und Projektbeschlüsse mit Budget, Kompetenzen und Fristen ausstatten
- Akzeptieren: Bürozeiten, Notfallgrenzen, Ticket-/SLA-Prozesse
So entsteht genau die „Community“, die viele sich wünschen: lösungsorientiert, effizient, planbar.
Fazit: Qualität braucht Regeln, Zeitfenster und Preise, die tragen
Die moderne WEG-Verwaltung ist Community-Management unter rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Nebenbedingungen. Bürozeiten statt Abendmarathons, Havarie-Notruf statt 24/7, Grundhonorare auf realistischer Basis und klar ausgewiesene Sondervergütungen sind keine Härte, sondern die Voraussetzung für stabile Teams, verlässliche Umsetzung und sinkende Gesamtkosten über den Lebenszyklus. Wer diese Spielregeln akzeptiert, erhält planbare Leistung, bessere Projektergebnisse und weniger Konflikte. Alles andere wirkt wie gesparte Kosten, ist aber nur verschobener Aufwand mit teurerem Ausgang.
Autor: Harald Reiner, Hausverwaltung Reiner GmbH • Veröffentlicht am: 28.10.2025


