§ 27 WEG (Wohnungseigentumsgesetz) – Aufgaben und Befugnisse des Verwalters
(Aktualisiert nach der WEG‑Reform 2020; Rechtsstand: Oktober 2025; mit Praxisbeispielen für Hausverwaltungen und GdWE)
Einleitung
§ 27 WEG regelt die Handlungsspielräume des Verwalters ohne vorherigen Beschluss der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE). Kern sind zwei Fallgruppen: Kleinmaßnahmen (untergeordnete Bedeutung, keine erheblichen Verpflichtungen) und Maßnahmen zur Fristwahrung bzw. Nachteilsabwehr. Zusätzlich können die Eigentümer diese Rechte durch Beschluss einschränken oder erweitern (Abs. 2). Professionelle Verwaltungen arbeiten mit einem Delegationskatalog – klar, transparent und anfechtungssicher.
Gesetzestext – § 27 WEG
§ 27 Aufgaben und Befugnisse des Verwalters
- Der Verwalter ist gegenüber der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer berechtigt und verpflichtet, die Maßnahmen ordnungsmäßiger Verwaltung zu treffen, die
- untergeordnete Bedeutung haben und nicht zu erheblichen Verpflichtungen führen oder
- zur Wahrung einer Frist oder zur Abwendung eines Nachteils erforderlich sind.
- Die Wohnungseigentümer können die Rechte und Pflichten nach Absatz 1 durch Beschluss einschränken oder erweitern.
Hinweis: Maßgeblich ist die amtliche Fassung; Orthografie hier in aktueller Schreibweise umgesetzt.
Was bedeutet das in der Praxis?
- Kleinmaßnahmen (Abs. 1 Nr. 1): Laufende Verwaltung im kleinen Rahmen (z. B. Kleinreparaturen, Verbrauchsmaterial, Wartungseinsätze, geringfügige Vergaben), solange keine erheblichen Verpflichtungen ausgelöst werden (insb. keine hohen Kosten, keine langfristigen Bindungen, keine Grundlageneingriffe).
- Frist-/Nachteilsabwehr (Abs. 1 Nr. 2): Maßnahmen, die jetzt nötig sind, um Fristen zu halten (z. B. Gewährleistungsrüge, Hemmung verjährender Ansprüche) oder konkrete Nachteile abzuwenden (z. B. Leckage beseitigen, Verkehrssicherung wiederherstellen).
- Delegierbarkeit (Abs. 2): Die GdWE kann den Handlungsspielraum durch Beschluss präzisieren (Euro‑Schwellen, Vertragslaufzeiten, Katalog erlaubter Vergaben) oder begrenzen (z. B. Genehmigungsvorbehalte).
- Dokumentation: Entscheidungen nach § 27 kurz begründen (Sachverhalt, Rechtsgrund, Eilbedürftigkeit), Angebote/Belege ablegen und in der nächsten ETV berichten.
Abgrenzung: „untergeordnete Bedeutung“ und „erhebliche Verpflichtungen“
- Indizien für untergeordnete Bedeutung: niedrige Kosten im Verhältnis zum Budget der GdWE; keine dauerhaften Verpflichtungen; Austauschbarkeit; Erhaltung statt Änderung; kurze Bindung.
- Erhebliche Verpflichtungen typischerweise: hohe Einmalkosten, langfristige Verträge (z. B. > 12 Monate), Grundlageneingriffe (Gestaltung, Baumaßnahme, privilegierte Maßnahme), haftungsträchtige Sondervereinbarungen.
- Best Practice: Schwellenwerte per Beschluss definieren (z. B. Einzelmaßnahme bis [X] €, Jahresrahmen bis [Y] €, Vertragslaufzeit maximal [Z] Monate).
Praxisbeispiele
- Erlaubt ohne Beschluss (Nr. 1): Rohrreinigung im Treppenhaus (300 €), Austausch defekter LED‑Leuchten im Hof (450 €), kurzfristige Winterdienst‑Zusatzfahrt bei Glatteis (200 €).
- Erlaubt ohne Beschluss (Nr. 2): Sofortmaßnahme bei Wasserschaden (Notdienst), fristwahrende Gewährleistungsanzeige an den Unternehmer, Widerspruch gegen einen offensichtlich fehlerhaften Gebührenbescheid innerhalb der Frist.
- Nicht ohne Beschluss: Fassadensanierung, Austausch der Heizungsanlage, Abschluss eines 24‑Monats‑Wartungsvertrags, Einführung einer neuen Hausordnung, Umstellung auf neues Schließsystem.
Häufige Missverständnisse
- „§ 27 erlaubt alles, was praktisch ist.“ Nein. Er erlaubt nur Kleinmaßnahmen oder Eilmaßnahmen zur Frist-/Nachteilsabwehr.
- „Jede Störung ist ein Notfall.“ Falsch. Lärm, defekte Einzelbriefkästen, leichte Türjustierung, einzelne ausgefallene Lampen sind regelmäßig kein Notfall. Notfälle sind z. B. unkontrollierter Wasseraustritt, Brand-/Kurzschlussgefahr, akute Verkehrssicherungspflichtverletzung.
- „Für jede Eilsache muss sofort eine außerordentliche ETV einberufen werden.“ Ebenfalls falsch. Bei echten Eilfällen handelt die Verwaltung sofort nach § 27 Abs. 1 Nr. 2 und berichtet nach; eine außerordentliche Versammlung ist nur nötig, wenn bald eine Grundsatz-/Budgetentscheidung ansteht.
- Belegeinsicht ≠ Erklärpflicht: Es besteht kein Anspruch auf persönliche Anwesenheit des Verwalters und keine generelle Pflicht zur mündlichen Erläuterung. Eigentümer haben ein Einsichtsrecht in die Unterlagen; Termin und Ort der Einsicht legt die Verwaltung im Rahmen ordnungsmäßiger Verwaltung fest.
FAQ zu § 27 WEG
Ist „Notfall“ = „jeder Ärger“?
Nein. Ein Notfall liegt vor, wenn ohne sofortige Maßnahme erhebliche Schäden drohen oder gesetzliche Pflichten (z. B. Verkehrssicherung) verletzt werden. Viele Alltagsstörungen sind kein Notfall und werden im normalen Beschlussweg behandelt.
Müssen wir für jede Kleinmaßnahme eine außerordentliche Versammlung einberufen?
Nein. Gerade dafür existiert § 27 Abs. 1 Nr. 1. Die Verwaltung darf im Rahmen des Delegationskatalogs handeln und berichtet in der nächsten ETV.
Wie hoch ist die Kostengrenze für „untergeordnete Bedeutung“?
Das Gesetz nennt keinen Betrag. Setzen Sie praxisgerechte Schwellen durch Beschluss (z. B. 500 €–3.000 € je Maßnahme, abhängig von Objektgröße/Budget) und definieren Sie zulässige Vertragslaufzeiten.
Was gehört zur Nachteilsabwehr?
Typisch: Wasserschaden stoppen, Absperren bei Gefahrstellen, fristwahrende Erklärungen (Gewährleistung, Widerspruch), Sicherung der Heizanlage im Winter, Stromgefahr beseitigen.
Dürfen Eigentümer den Handlungsspielraum des Verwalters erweitern?
Ja, per Beschluss nach Abs. 2 (z. B. höhere Euro‑Schwellen, bestimmte Vergaben). Das sollte transparent protokolliert und in der Beschlusssammlung dokumentiert werden.
Und einschränken?
Ebenfalls ja. Die GdWE kann z. B. Genehmigungsvorbehalte oder niedrigere Schwellen festlegen. Wichtig ist eine praxistaugliche Balance, damit die Verwaltung handlungsfähig bleibt.
Best‑Practice: Delegationskatalog (Beschlussentwurf)
- Kosten: Einzelmaßnahmen bis [X] €; Jahresrahmen bis [Y] €; mind. drei Vergleichsangebote ab [Schwelle], soweit zeitlich möglich.
- Verträge: Laufzeiten max. [Z] Monate; automatische Verlängerungen nur mit Kündigungsrecht der GdWE <= 3 Monate.
- Eilfälle: Sofortmaßnahme zulässig; Nachbericht in der nächsten ETV; Dokumentation der Eilbedürftigkeit.
- Transparenz: Quartalsbericht über Maßnahmen nach § 27 im Portal (Kurzbeschreibung, Kosten, Belege).
Fazit
§ 27 WEG gibt der Verwaltung den nötigen Puffer zwischen Beschluss‑ und Umsetzungsebene: Kleine Dinge erledigen, Fristen wahren, Schäden abwenden – ohne die Beschlusskompetenz der GdWE zu ersetzen. Mit klaren Schwellen, sauberer Dokumentation und transparenter Kommunikation bleibt die GdWE handlungsfähig und anfechtungssicher.
Autor: Harald Reiner, Hausverwaltung Reiner GmbH
Stand: Oktober 2025
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