Zwist um die Hecke: Wann greift der Anwaltszwang?


Kernthema: Anwaltszwang im WEG-Prozess. Erstinstanzlich vor dem Amtsgericht kein Anwaltszwang, im Rechtsmittelzug zur Berufungsinstanz hingegen zwingend.


Ausgangsfall

Zwei Wohnungseigentümer (Sondernutzungsberechtigte) stritten über die Höhe einer Thujenhecke zwischen zwei Garten-Sondernutzungsflächen. Das Amtsgericht (AG) Bautzen gab der Klage auf Rückschnitt statt. In der Rechtsmittelbelehrung des AG war – fehlerhaft – das Landgericht (LG) Görlitz als zuständiges Berufungsgericht genannt. Der Anwalt des Beklagten legte dort Berufung ein, wurde auf die Unzuständigkeit hingewiesen und reichte anschließend beim LG Dresden ein. Dieses verwarf die Berufung als verspätet und lehnte die Wiedereinsetzung ab.


Entscheidung des BGH

Der Bundesgerichtshof hob die Entscheidung auf. Maßgeblich war, dass die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung für den Rechtsanwalt nicht offenkundig falsch sein musste. Aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem Gebot des fairen Verfahrens folgt, dass bei unzutreffender gerichtlicher Belehrung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren sein kann, wenn die Fristversäumnis darauf beruht.


Rechtslage kompakt

  • Erste Instanz (Amtsgericht): Kein Anwaltszwang. Verwalter können im Anfechtungsprozess als Vertreter auftreten. Grundlage: § 78 ZPO (Anwaltsprozess nur vor bestimmten Gerichten).
  • Berufung (Landgericht): Anwaltszwang zwingend, die Berufung ist beim zuständigen LG einzulegen und zu begründen (§ 78 ZPO, § 519 ZPO, § 520 ZPO).
  • Seit WEMoG (01.12.2020): WEG-Verfahren weiterhin erstinstanzlich beim Amtsgericht (§ 44 WEG). Am Anwaltszwang in der Berufungsebene hat sich nichts geändert.
  • Wiedereinsetzung: Bei unverschuldeter Fristversäumnis, etwa aufgrund falscher Rechtsmittelbelehrung, ist Wiedereinsetzung möglich (§ 233 ZPO), wenn unverzüglich beantragt und die Versäumnis glaubhaft gemacht wird (§ 234 ZPO, § 236 ZPO).

Praxisleitfaden für GdWE, Beirat und Verwalter

  • Urteilsprüfung: Rechtsmittelbelehrung auf Fristen, Gericht und Form prüfen. Bei Zweifeln sofort anwaltlich klären.
  • Fristenmanagement: Berufungsfrist i. d. R. 1 Monat ab Zustellung, Begründungsfrist 2 Monate (§ 517 ZPO, § 520 ZPO).
  • Vertretung: Erstinstanzlich kann die GdWE ohne Anwalt auftreten; spätestens in der Berufung Fachanwaltskanzlei beauftragen (Miet- und WEG-Recht).
  • Dokumentation: Zustellungsdatum, Belehrung, interner Versand und Fristenkalender revisionssicher festhalten; das erleichtert eine Wiedereinsetzung bei Belehrungsfehlern.
  • Kommunikation: Beirat und Eigentümer früh über Kosten- und Risikoprofil der Rechtsmittel informieren; Beschlusskompetenzen prüfen (§ 19 WEG).

Fazit

Im WEG-Verfahren gilt: Amtsgericht ohne, Berufung mit Anwaltszwang. Gerichtliche Fehlbelehrungen können die Wiedereinsetzung eröffnen, entbinden aber nicht von einem professionellen Fristen- und Zuständigkeitscheck. Für Verwalter heißt das: Erstinstanz effizient führen, beim Rechtsmittelzug sofort spezialisierten Rechtsbeistand mandatieren.


Ursprünglicher Artikel: Juni 2017
Aktualisiert am 28.10.2025 von Harald Reiner, Hausverwaltung Reiner GmbH
Keyword: Anwaltszwang