Jahresabrechnung: Vorschuss für das „Zahlenwerk“ möglich – BGH präzisiert Abgrenzung (V ZR 290/19) – Update 2025


Kerngedanke

– Die Jahresabrechnung besteht rechtlich aus zwei Ebenen: (1) dem Zahlenwerk als auswertbares, beschlussreifes Abrechnungswerk und (2) der Rechnungslegung/Versicherung des Verwalters über Vollständigkeit und Richtigkeit.

– Der BGH (26.02.2021, V ZR 290/19) erlaubt einen Vorschuss gegen den (Ex-)Verwalter, wenn die Gemeinschaft nur das Zahlenwerk fordert. Das Zahlenwerk ist eine vertretbare Werkleistung mit werkvertraglichem Charakter.

– Die persönliche Versicherung der Vollständigkeit/Richtigkeit bleibt unvertretbar; hierfür gibt es keinen Vorschuss.


Rechtsrahmen – kurz

§ 28 WEG (Wirtschaftsplan, Jahresabrechnung, Vermögensbericht): Pflicht zur Aufstellung und Beschlussvorbereitung. Gesetze-im-Internet

§ 259 BGB (Rechnungslegung) sowie §§ 675, 666 BGB (Geschäftsbesorgung/Auskunft): Grundlage der Rechnungslegungspflichten. § 259 · § 675 · § 666

§ 637 BGB (Vorschuss bei Selbstvornahme) i. V. m. §§ 634, 635 BGB (Mängelrechte/Nacherfüllung): Werkvertragsrechtliche Brücke für das Zahlenwerk. § 637 · § 634 · § 635


Der Fall – Essenz

– Ex-Verwalter legte Abrechnungen vor; frühere Genehmigungen teilweise aufgehoben; Neufassung erneut abgelehnt.

– Gemeinschaft verlangte Vorschuss für Neuerstellung des Zahlenwerks durch Dritte; hilfsweise Neuerstellung durch den Ex-Verwalter.

– BGH: Zahlenwerk ist „vertretbar“ → Vorschuss nach § 637 BGB möglich, wenn Nacherfüllung verweigert oder Verzug vorliegt. Rechnungslegung als persönliche Versicherung bleibt unvertretbar → kein Vorschuss.


Abgrenzung „Zahlenwerk“ vs. „Rechnungslegung“

Zahlenwerk: geordnete Auswertung der Belege, Einnahmen-/Ausgabenrechnung, Gesamtabrechnung, Einzelabrechnungen, Vorbereitung der Beschlüsse (Nachschüsse/Vorschüsse).

Rechnungslegung/Versicherung: Erklärung des im Abrechnungszeitraum bestellten Verwalters, dass alle Zahlungsflüsse vollständig und richtig erfasst wurden.

– Folge: Die Gemeinschaft darf das Zahlenwerk auf Kosten des (Ex-)Verwalters extern erstellen lassen; die persönliche Versicherung kann nur der Amtsinhaber der Zeit leisten.


Voraussetzungen für den Vorschuss

Klarer Leistungsgegenstand: Es wird nur das Zahlenwerk verlangt (kein umfassendes „Alles inkl. Versicherung“).

Fristsetzung/Nacherfüllung: Aufforderung zur mangelfreien Neuerstellung; bei ernsthafter/definitiver Verweigerung ist Vorschuss ohne Abnahme zulässig.

Bezifferung des Vorschusses: Plausible Kostenschätzung/Angebot eines Dritten beifügen.

Zweckbindung: Vorschuss ist zweckgebunden für die Neuerstellung des Zahlenwerks; überzahlte Beträge abzurechnen.


Prozessuale und praktische Leitplanken

Anspruchsinhaber: Immer die Gemeinschaft, nicht der einzelne Eigentümer.

Vertretung: Gegen Ex-Verwalter ohne Problem durch den aktuellen Verwalter; gegen den amtierenden Verwalter muss die Gemeinschaft selbst handeln (z. B. Beirat/Vollmacht per Beschluss).

Werkvertragslogik: Für das Zahlenwerk gelten die Mängelrechte; § 637 BGB (Selbstvornahme/Vorschuss) greift bei Verweigerung/Verzug.

RA-Kosten: Erstattungsfähig als erforderliche Aufwendungen zur Mängelbeseitigung (§ 635 Abs. 2 BGB), auch ohne (weiteren) Schuldnerverzug, wenn sachlich geboten.


Best-Practice – Vorgehensmodell für Beirat/Verwalter

1. Beschlusslage: Gremialen Beschluss fassen („Neuerstellung Zahlenwerk Jahresabrechnung [Jahre] – nur Zahlenwerk – Angebot(e) Dritter einholen – ggf. Vorschussforderung“).

2. Fristsetzung: Ex-/Verwalter auffordern, nur das Zahlenwerk mangelfrei bis Datum X zu liefern; Mängelpunkte konkret benennen.

3. Angebote: Kostenangebot eines Dritten beilegen; Vorschussbetrag beziffern.

4. Vorschussforderung: Bei Verweigerung/Fristablauf § 637 BGB ziehen; Zahlung auf WEG-Konto mit Zweckbindung verlangen.

5. Umsetzung: Externe Neuerstellung; Belegprüfung/Abstimmung; Vorlage des Zahlenwerks zur Beschlussfassung nach § 28 WEG.

6. Abrechnung: Verwendungsnachweis; etwaige Differenz erstatten/nachfordern.


Formulierungsbaustein – Vorschussforderung (Auszug)

– „Die Gemeinschaft verlangt ausschließlich die Neuerstellung des Zahlenwerks der Jahresabrechnung(e) [Jahre] gemäß § 28 WEG. Ihre umfassende Rechnungslegung/Versicherung ist nicht Gegenstand dieser Aufforderung. Zur Selbstvornahme gemäß § 637 BGB fordern wir einen Vorschuss in Höhe von [€] bis zum [Datum] auf das Konto der Gemeinschaft [IBAN]. Grundlage ist das beigefügte Angebot der [Drittfirma] vom [Datum].“


Typische Fehler – vermeiden

Unklare Leistungsbeschreibung („Abrechnung insgesamt“) → immer „nur Zahlenwerk“ explizit festlegen.

Ohne Frist/ohne Mängelbenennung → Nacherfüllungschance geben; sodann Vorschuss.

Keine Bezifferung → mindestens ein marktübliches Angebot beifügen.

Einzeleigentümer agiert → Klagebefugnis liegt bei der Gemeinschaft.


Einordnung zum WEMoG

– Obwohl der Fall altrechtlich verhandelt wurde, harmoniert die Lösung mit § 28 WEG n. F.: Das Zahlenwerk dient unmittelbar der Beschlussfassung über Nachschüsse und Vorschussanpassungen.

– Die Zweiteilung (vertretbares Zahlenwerk vs. unvertretbare Versicherung) bleibt unter neuem Recht tragfähig und praxistauglich.


Quintessenz

– Die Gemeinschaft kann bei verweigerter/mangelhafter Abrechnung das Zahlenwerk extern erstellen lassen und hierfür vom (Ex-)Verwalter einen Vorschuss verlangen. So bleibt die Beschlussfähigkeit gewahrt, ohne sich an die persönliche Versicherung des früheren Amtsinhabers ketten zu müssen.


Ursprünglicher Artikel: August 2021

Aktualisiert am 14.10.2025 von Harald Reiner, Hausverwaltung Reiner GmbH