Prozessführungsbefugnis im WEMoG-Übergang: BGH schützt Altverfahren – Leitfaden mit Update 2025
Kerngedanke
– Prozessführungsbefugnis des einzelnen Wohnungseigentümers bleibt in Altverfahren bestehen, wenn die Klage vor dem 01.12.2020 erhoben wurde und kein entgegenstehender Gemeinschaftswille schriftlich mitgeteilt ist.
– Der BGH (07.05.2021, V ZR 299/19) schließt eine planwidrige Lücke im Übergangsrecht: Anknüpfung an den Rechtsgedanken von § 48 Abs. 5 WEG n. F., bis eine schriftliche Erklärung des nach § 9b WEG vertretungsberechtigten Organs (regelmäßig der Verwalter) vorliegt.
Rechtsrahmen – kurz
– § 9a Abs. 2 WEG: Ausübungsbefugnis bzgl. gemeinschaftlichen Eigentums liegt bei der Gemeinschaft (materielles Recht). Gesetze-im-Internet
– § 9b WEG: Vertretung der Gemeinschaft (Verwalter). Gesetze-im-Internet
– § 48 Abs. 5 WEG: Übergangsvorschrift für anhängige Verfahren (Verfahrensrecht bleibt anwendbar). Gesetze-im-Internet
– § 1004 BGB: Beseitigungs-/Unterlassungsanspruch. Gesetze-im-Internet
Der Fall – Essenz
– Nachbarschaftsstreit über Grenzbepflanzung; Kläger ist Miteigentümer in einer Zweier-WEG.
– Klage und Instanzenzug laufen vor dem 01.12.2020; Beklagte rügen Wegfall der Prozessführungsbefugnis durch WEMoG.
– BGH: Kläger bleibt prozessführungsbefugt, solange keine schriftliche Mitteilung des Verwalters nach § 9b WEG über einen entgegenstehenden Willen der Gemeinschaft vorliegt.
Die Entscheidung – Leitlinien des BGH
– Altverfahren dürfen nicht „leer laufen“; der Gesetzgeber wollte anhängige Prozesse nicht entwerten.
– Die Analogie zu § 48 Abs. 5 WEG füllt die Übergangslücke: Fortbestand der individuellen Prozessführungsbefugnis bis zur schriftlichen gegenteiligen Erklärung des nach § 9b WEG Zuständigen.
– Ein schlichter Mehrheitswille „im Hintergrund“ genügt nicht; es braucht eine formalisierte Mitteilung an das Gericht.
Praxisfolgen für Verwalter und Gemeinschaft
– Will die Gemeinschaft einen laufenden Störungsabwehrprozess (z. B. § 1004 BGB) an sich ziehen, braucht es:
– Beschluss der Gemeinschaft zur Übernahme/Beendigung/Ermächtigung.
– Schriftliche Mitteilung des Verwalters (§ 9b WEG) an das Gericht über den entgegenstehenden Willen.
– Kostenfairness: Regelmäßig Freistellung des bisher klagenden Eigentümers von Prozesskosten, ggf. Ermächtigung zur Prozessfortführung in gewillkürter Prozessstandschaft.
Praxisfolgen für den klagenden Eigentümer
– Fortführung des Altverfahrens möglich, solange keine § 9b-Mitteilung eingeht.
– Bei „später“ erklärtem Gemeinschaftswillen: Eilrechtsschutz/Anfechtung denkbar, wenn die Übernahme ermessensfehlerhaft ist (z. B. kurz vor Schluss, offenkundiges Obsiegen des Klägers).
– Taktisch: Dokumentieren des bisherigen Prozessverlaufs, Vergleichsbereitschaft prüfen, Kostenfolgen antizipieren.
Wie wäre es nach dem neuen WEG 2020 (WEMoG)?
– Bei Klageerhebung ab 01.12.2020 gilt: Ansprüche aus gemeinschaftlichem Eigentum (§ 9a Abs. 2 WEG) übt nur die Gemeinschaft aus.
– Der Einzelne kann Prozessführungsbefugnis per Ermächtigungsbeschluss erhalten.
– Individuelle Abwehr bleibt zulässig, wenn der Anspruch aus dem Sondereigentum herrührt (z. B. Trittschall, Gerüche im eigenen Bereich) – hier ist der Sondereigentümer selbst rechts- und prozessführungsbefugt.
FAQ – Prozessführungsbefugnis im Überblick
– Gilt der BGH-Schutz für alle Altverfahren? Ja, solange die Klage vor dem 01.12.2020 anhängig war und keine gegenteilige § 9b-Mitteilung vorliegt.
– Reicht ein Beschluss ohne Mitteilung? Nein. Das Gericht muss den entgegenstehenden Willen schriftlich durch das Vertretungsorgan erhalten.
– Kann die Gemeinschaft mitten im Verfahren „übernehmen“? Ja, aber ordnungsmäßiges Ermessen ist zu wahren; Kosten- und Prozessstand sind zu berücksichtigen.
– Was, wenn der Anspruch zugleich SE und GE betrifft? Doppelspur: Gemeinschaft für GE-Anteil; Sondereigentümer für SE-Anteil. Ermächtigung kann bündeln.
Quintessenz
– Im Übergang schützt der BGH die Prozessführungsbefugnis des Einzelklägers, bis die Gemeinschaft formal widerspricht. Im Neurecht führt der Weg bei GE-Ansprüchen über die Gemeinschaft oder über eine Ermächtigung. Sondereigentumsansprüche bleiben individuell durchsetzbar.
Ursprünglicher Artikel: Juli 2021
Aktualisiert am 14.10.2025 von Harald Reiner, Hausverwaltung Reiner GmbH