Vergleichsangebote in der GdWE: Verzicht per Beschluss?
Dürfen Wohnungseigentümer wegen der „besonderen Situation am Handwerkermarkt“ auf Vergleichsangebote verzichten? Das LG Frankfurt a. M. (01.08.2024 – 2-13 S 23/24) sagt: Nein – aber es gibt Einzelfälle, in denen ein einziges Angebot genügt. Einordnung zu § 18 Abs. 2 WEG, Praxisleitfaden und Musterbeschlüsse.
1) Leitsatz (vereinfacht)
Ein bloßer Mehrheitsbeschluss, „wegen der besonderen Situation am Handwerkermarkt“ auf Alternativangebote zu verzichten, trägt nicht. Vergleichsangebote bleiben erforderlich, wenn sie benötigt werden, um die Ermessensentscheidung der Eigentümer auf eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage zu stellen. Ausnahmen kommen nur im Einzelfall in Betracht (z. B. geringes Volumen, sachgerechte Einordnung eines Einzelangebots).
2) Normenkette
§ 18 Abs. 2 WEG (Anspruch auf ordnungsmäßige Verwaltung; Entscheidung nach billigem Ermessen auf gesicherter Tatsachengrundlage).
3) Das Problem – der Ausgangsfall
In einer Wohnungseigentumsanlage sind Pflasterabsenkungen zu beseitigen. Eine X-GmbH unterbreitet ein Angebot; die GdWE nimmt es an. Zusätzlich beschließen die Eigentümer: „Die Gemeinschaft verzichtet aufgrund der besonderen Umstände im Handwerksbereich auf weitere Angebote, zumal die Firma … bereits die anderen Senkungen beseitigt hat.“ Zwei andere angefragte Unternehmen haben nicht angeboten. Ein Eigentümer ficht an.
4) Die Entscheidung des LG Frankfurt a. M. (01.08.2024 – 2-13 S 23/24)
4.1 Kein genereller Verzicht per Beschluss
Der Verweis auf die Marktlage („Handwerkermangel“) ersetzt nicht die sachliche Grundlage der Entscheidung. Ein pauschaler Verzicht zu Lasten der Minderheit ist unzulässig. Vergleichsangebote dienen der Wirtschaftlichkeits- und Plausibilitätskontrolle.
4.2 Wann Angebote entbehrlich sein können
Geringes Auftragsvolumen im Verhältnis zur GdWE (keine starre Euro-Grenze; entscheidend ist die Relation zur Wirtschaftsplansumme und zur Belastung je Einheit).
Sachgerechte Einordnung eines Einzelangebots (z. B. Folgeauftrag an bewährtes Unternehmen; Leistungsbild, Qualität und Preisniveau sind bekannt).
Dokumentierte Bemühungen um weitere Angebote bleiben ohne Ergebnis; ggf. zusätzliche Gründe wie Eilbedürftigkeit/Sicherheitsrisiken.
4.3 Einordnung im konkreten Fall
Die Kosten beliefen sich auf ca. 5.000 € und damit auf unter 1 % der Wirtschaftsplansumme; die X-GmbH hatte im Vorjahr vergleichbare Arbeiten für die Gemeinschaft ausgeführt. Unter diesen Umständen durfte die GdWE das Einzelangebot sachgerecht einordnen – der Vergabebeschluss hielt.
5) Hintergrund & Linie der Rechtsprechung
BGH, 10.02.2023 – V ZR 246/21: Keine starre „Drei-Angebote-Pflicht“. Entscheidend ist eine gesicherte Tatsachengrundlage; ernsthafte Bemühungen um Vergleichsangebote sind regelmäßig erforderlich. Bleibt es trotz Bemühungen bei einem Angebot, kann dies ordnungsmäßig sein.
LG Frankfurt a. M., 01.08.2024 – 2-13 S 23/24: Präzisiert die Ausnahmen (Einzelfallprüfung, Relation statt fester Beträge, sachgerechte Einordnung). Ein pauschaler Verzicht per Marktlagebeschluss ist unzulässig.
BGH, 18.07.2025 – V ZR 76/24: Für die Beauftragung von Rechtsanwälten und Gutachtern sind keine Vergleichsangebote nötig. Das entlastet die Praxis in diesen Fallgruppen gezielt.
6) Bezug zu unserem bisherigen Artikel & was sich geändert hat
In unserem Beitrag „Vergleichsangebote Wohnungseigentümergemeinschaft – was gilt nach dem BGH-Urteil V ZR 246/21?“ haben wir bereits die Bedeutung von Dokumentation und ernsthaften Einholbemühungen betont. Das LG Frankfurt a. M. 2024 schärft diese Linie:
Kein Pauschalverzicht per Beschluss „wegen Handwerkermarkt“.
Relativmaßstab statt fixer Euro-Grenzen (z. B. < 1 % der Wirtschaftsplansumme im Fall).
Sachgerechte Einordnung des Einzelangebots (bewährter Anbieter, Folgeauftrag) als tragfähige Ausnahme.
Update 2025: Anwälte/Gutachter ohne Pflicht zu Vergleichsangeboten.
7) Praxisleitfaden für Verwaltungen (GdWE-tauglich)
7.1 Vor der Vergabe – Kurz-Checkliste
Bedarf & Leistungsbild klären (Erhaltung nach § 18 WEG? Dringlichkeit? Umfang, Materialien, Gewährleistung).
Markterkundung dokumentieren (wen, wann, wie angefragt; Reaktionen; Gründe für ausbleibende Angebote).
Relation prüfen (Kosten zur Wirtschaftsplansumme und je Einheit; besondere Belastungen?).
Plausibilisierung (Preis-/Leistungsbenchmark, frühere Aufträge, übliche Einheitspreise, Eil-/Sicherheitslage).
Transparenz (Beirat einbinden, kurze Einordnung in der Beschlussvorlage, Dokumente beifügen).
7.2 Wann ein Angebot genügen kann (Einzelfall!)
Geringes Volumen im Verhältnis zur GdWE (Bagatellbereich; keine starre Grenze).
Folgeauftrag an bewährtes Unternehmen; Preis-/Leistungsbild dadurch einschätzbar.
Ernsthafte Bemühungen ohne weitere Angebote, plus zusätzliche Gründe (z. B. Termin-/Sicherheitsdruck).
7.3 Wann mehrere Angebote anzuraten sind
Spürbare Kostenbelastung (nicht mehr Bagatelle) oder unklarer Marktpreis.
Neues/abgewandeltes Leistungsbild ohne Vergleichswerte.
Kontroverse Meinungsbildung in der Versammlung (Minderheitenschutz, Anfechtungsrisiko).
7.4 Dokumentationsmappe für die Einberufung
Leistungsbeschreibung (mit Fotos/Plänen, sofern sinnvoll).
Anfrage-/Antwortliste (E-Mails, Telefonnotizen, Fristen, ggf. Absagen-Gründe).
Angebot(e) + Kurzvergleich (Preis, Leistungsumfang, Termine, Gewährleistung).
Kurzbegründung, warum in diesem Fall ggf. ein Angebot genügt (Relation, Folgeauftrag, Eile).
Beschlussvorschlag (siehe Muster unten).
8) Muster für die Tagesordnung & Beschlussfassung
8.A Vergabe bei nur einem vorliegenden Angebot (Einzelfallbegründung)
Beschluss: Die GdWE beschließt die Beauftragung der [Firma] zur [Leistungsbezeichnung] auf Basis des Angebots vom [Datum] in Höhe von [€].
Begründung: Die Kosten liegen im Verhältnis zur Wirtschaftsplansumme im Bagatellbereich. Das Angebot kann aufgrund der Vorbefassung/Marktkenntnis (z. B. Folgeauftrag an bewährtes Unternehmen) sachgerecht eingeordnet werden. Die Verwaltung hat [Anzahl] weitere Anbieter angefragt; weitere Angebote lagen trotz Bemühungen nicht vor. Die Verwaltung wird beauftragt, die Ausführung zu überwachen und das Ergebnis zu dokumentieren.
8.B Vorgabe zur Angebotsstrategie (Transparenz & Minderheitenschutz)
Beschluss: Die Verwaltung wird angewiesen, bei nicht geringfügigen Maßnahmen mindestens zwei Vergleichsangebote einzuholen. Bei geringfügigen Maßnahmen kann im Einzelfall ein Angebot genügen, wenn die Relation zur Wirtschaftsplansumme gering ist und eine sachgerechte Einordnung möglich erscheint; die Verwaltung begründet dies in der Beschlussvorlage kurz und dokumentiert die Einholbemühungen.
8.C Besonderer Hinweis (Anwälte/Gutachter)
Hinweis: Für die Beauftragung von Rechtsanwälten und Gutachtern sind keine Vergleichsangebote erforderlich (BGH, 18.07.2025 – V ZR 76/24).
9) FAQ – kurz & praxisnah
Reichen immer drei Angebote?
Nein. Entscheidend ist die gesicherte Tatsachengrundlage. Drei Angebote können ein Weg sein, sind aber kein Selbstzweck.
Genügt der Hinweis „Handwerkermangel“ für einen Verzicht?
Nein. Ein pauschaler Verzicht per Beschluss ist unzulässig. Es bleibt bei der Einzelfallprüfung.
Gibt es feste Euro-Grenzen (2.000–5.000 €)?
In der Praxis verbreitet, rechtlich aber nicht verbindlich. Maßgeblich ist die Relation (Budget/Einheiten) und die Dokumentation.
Nur ein Angebot trotz Bemühungen – was tun?
Dokumentierte Anfragen, kurze Plausibilisierung (Relation, Folgeauftrag, Eile) und transparente Beschlussvorlage. So bleibt die Entscheidung angreifungsfest.
10) Fazit
Das Urteil des LG Frankfurt a. M. ist kein Freibrief für Vergaben ohne Vergleich. Es bestätigt eine vernünftige Mitte: Vergleichsangebote sind Mittel zum Zweck, nicht Selbstzweck. Entbehrlich sind sie, wenn Relation und sachgerechte Einordnung stimmen; unzulässig ist der Pauschalverzicht per Mehrheitsbeschluss mit bloßem Marktlage-Verweis. Wer als Verwaltung sauber dokumentiert, Relationen belegt und Transparenz schafft, handelt ordnungsmäßig nach § 18 Abs. 2 WEG und reduziert Anfechtungsrisiken.
Weiterführend
Vergleichsangebote Wohnungseigentümergemeinschaft – was gilt nach dem BGH-Urteil V ZR 246/21? (unser Basisartikel)
Verfasst von Harald Reiner, Hausverwaltung Reiner GmbH
Stand: September 2025