§ 10 WEG (Wohnungseigentumsgesetz) – Allgemeine Grundsätze


Einleitung

§ 10 WEG setzt den Rahmen für das Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander und zur Gemeinschaft der Wohnungseigentümer (GdWE). Die Norm regelt, welche Vorschriften vorrangig gelten, inwieweit hiervon durch Vereinbarungen abgewichen werden darf und unter welchen Voraussetzungen solche Vereinbarungen (und darauf beruhende Beschlüsse) auch gegen Sondernachfolger wirken. Damit ist § 10 WEG eine Kernvorschrift für rechtssichere Verwaltung und stabile Regeln in der GdWE.

Wichtig für die Praxis: GesetzVereinbarungBeschluss sind strikt zu unterscheiden. Abweichungen vom Gesetz bedürfen einer Vereinbarung (nicht eines bloßen Mehrheitsbeschlusses), es sei denn, das Gesetz räumt ausdrücklich eine Beschlusskompetenz ein. Die Bindungswirkung gegenüber Erwerbern richtet sich dann nach § 10 Abs. 3 WEG.


Gesetzestext von § 10 WEG (Stand 2025)

§ 10 WEG – Allgemeine Grundsätze

(1) Das Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander und zur Gemeinschaft der Wohnungseigentümer bestimmt sich nach den Vorschriften dieses Gesetzes und, soweit dieses Gesetz keine besonderen Bestimmungen enthält, nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs über die Gemeinschaft. Die Wohnungseigentümer können von den Vorschriften dieses Gesetzes abweichende Vereinbarungen treffen, soweit nicht etwas anderes ausdrücklich bestimmt ist.

(2) Jeder Wohnungseigentümer kann eine vom Gesetz abweichende Vereinbarung oder die Anpassung einer Vereinbarung verlangen, soweit ein Festhalten an der geltenden Regelung aus schwerwiegenden Gründen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Rechte und Interessen der anderen Wohnungseigentümer, unbillig erscheint.

(3) Vereinbarungen, durch die die Wohnungseigentümer ihr Verhältnis untereinander in Ergänzung oder Abweichung von Vorschriften dieses Gesetzes regeln, die Abänderung oder Aufhebung solcher Vereinbarungen sowie Beschlüsse, die aufgrund einer Vereinbarung gefasst werden, wirken gegen den Sondernachfolger eines Wohnungseigentümers nur, wenn sie als Inhalt des Sondereigentums im Grundbuch eingetragen sind. Im Übrigen bedürfen Beschlüsse zu ihrer Wirksamkeit gegen den Sondernachfolger eines Wohnungseigentümers nicht der Eintragung in das Grundbuch.


Erläuterungen zu § 10 WEG

1. Vorrang des WEG, ergänzend BGB
Abs. 1 stellt klar: Maßgeblich ist primär das WEG; nur wo dieses schweigt, gelten die Regeln des BGB zur Gemeinschaft (§§ 741 ff. BGB). Praktisch vermeidet das Regelungslücken.

2. Abweichende Vereinbarungen – nicht per Mehrheitsbeschluss
Abweichungen vom Gesetz sind durch Vereinbarung möglich (Abs. 1 S. 2), soweit das WEG keine zwingenden Vorgaben trifft. Eine bloße Mehrheitsentscheidung genügt hierfür nicht. Soweit das Gesetz aber ausdrücklich Beschlusskompetenzen vorsieht (gesetzliche „Öffnungsklausel“), kann die GdWE mit Beschluss regeln, ohne Vereinbarung.

3. Anspruch auf Anpassung („Unbilligkeit“)
Abs. 2 gewährt einen Individualanspruch jedes Eigentümers auf Abschluss/Anpassung einer Vereinbarung, wenn das Festhalten daran aus schwerwiegenden Gründen unbillig ist. Die Hürden sind hoch, gleichwohl hat der BGH klargestellt: Eine Anpassung kommt auch in Betracht bei sog. „Geburtsfehlern“ der Gemeinschaftsordnung – also verfehlten Regeln von Anfang an; es braucht keine nachträgliche Veränderung der Umstände. Die Durchsetzung erfolgt klageweise und nicht bloß als Einrede (vgl. unten „FAQs“).

4. Bindungswirkung für Erwerber – Grundbuch als Scharnier
Abs. 3 differenziert: Vereinbarungen und vereinbarungsbasierte Beschlüsse (z. B. auf Grundlage einer vereinbarten Öffnungsklausel) binden Erwerber nur, wenn sie als Inhalt des Sondereigentums im Grundbuch eingetragen sind. Reine Beschlüsse aufgrund gesetzlicher Beschlusskompetenz wirken demgegenüber ohne Grundbucheintrag auch gegenüber Sondernachfolgern. Hinweis: Die Eintragung von Vereinbarungen ist in der Regel deklaratorisch für deren Bestand, aber konstitutiv für die Bindung des Erwerbers.


Praxisbeispiele

Beispiel 1 – Kostenverteilung: In der Teilungserklärung ist eine starre Verteilung nach MEA vorgesehen. Die GdWE will – ohne ausdrückliche gesetzliche Beschlusskompetenz – auf verbrauchsabhängige Verteilung umstellen. Das erfordert Vereinbarung; alternativ kann bei Unbilligkeit eine Anpassung nach Abs. 2 gerichtlich geltend gemacht werden.

Beispiel 2 – Öffnungsklausel & Bindung: Die Teilungserklärung enthält eine vereinbarte Öffnungsklausel, nach der die GO per Beschluss geändert werden kann. Ein solcher vereinbarungsändernder Beschluss bindet Erwerber nur bei Grundbucheintragung (Abs. 3 S. 1).

Beispiel 3 – Sondernutzungsrecht (SNR): Ein SNR (Garten) ist grundbuchlich eingetragen und bindet daher den Käufer. Eine „interne Absprache“ über die exklusive Kellernutzung ohne Eintragung bindet Erwerber nicht.


Häufige Missverständnisse

  • „Mehrheit reicht für alles.“ – Nein. Was das Gesetz einer Vereinbarung vorbehält, kann nicht durch Mehrheitsbeschluss ersetzt werden.
  • „Alle Vereinbarungen binden automatisch Erwerber.“ – Nur bei Grundbucheintrag (Abs. 3 S. 1). Gesetzliche Beschlüsse brauchen keinen Eintrag (Abs. 3 S. 2).
  • „Unbilligkeit greift leicht.“ – Falsch. Es müssen schwerwiegende Gründe vorliegen; allerdings sind auch Geburtsfehler der GO erfasst.

FAQs zu § 10 WEG

Wie wird der Anpassungsanspruch aus Abs. 2 durchgesetzt?
Durch Klage (z. B. auf Zustimmung zur Änderung) im Verfahren nach § 44 WEG; eine bloße Einrede genügt nicht.

Bindet ein Beschluss einen Käufer automatisch?
Ja, wenn der Beschluss auf gesetzlicher Beschlusskompetenz beruht. Beruht er auf einer Vereinbarung/Öffnungsklausel, ist die Grundbucheintragung erforderlich (Abs. 3).

Reicht Auslegung statt Anpassung?
Ja, zuerst ist die Auslegung der TE/GO (als Grundbucheintragung) vorrangig. Nur wenn das Ergebnis unbillig bleibt, kommt die Anpassung nach Abs. 2 in Betracht.

Ist die Eintragung der Vereinbarung konstitutiv?
Für die Bindung des Sondernachfolgers ja; im Innenverhältnis zwischen den ursprünglichen Parteien wirkt die (wirksam geschlossene) Vereinbarung auch ohne Eintragung.


Praxisbaustein: Formulierungsbeispiel Grundbucheintrag

„Die Wohnungseigentümer der Gemeinschaft [Bezeichnung/Adresse] vereinbaren gem. § 10 Abs. 1 WEG folgende Regelung: [Regelungsinhalt]. Diese Vereinbarung soll als Inhalt des Sondereigentums in das Grundbuch der jeweiligen Einheiten eingetragen werden (§ 10 Abs. 3 WEG). Der Verwalter/Notar wird beauftragt, die Eintragung zu veranlassen.“


Fazit

§ 10 WEG ordnet das Zusammenspiel von Gesetz, Vereinbarung und Beschluss. Für die Praxis entscheidend sind die hohen Hürden des Anpassungsanspruchs (gleichwohl inkl. „Geburtsfehler“-Fällen), die Notwendigkeit des Grundbucheintrags für die Bindung von Erwerbern bei Vereinbarungen/vereinbarungsbasierten Beschlüssen sowie der Vorrang der Auslegung vor Anpassung. Wer diese Stellschrauben sauber bedient, schafft dauerhafte Rechtssicherheit in der GdWE.


Verfasst von Harald Reiner, Hausverwaltung Reiner GmbH – Stand: August 2025